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Robert de Niros Stimme ist in Metternich zu hören

Vor über 180 begeisterten Zuörern präsentierte Christian Brückner im Metternicher „Kulturhof Velbrück“ die ganze Bandbreite seines Könnens. Die deutsche Stimme von Robert de Niro war im Rahmen der Lit.Eifel-Veranstaltung, deren Medienpartner der Wochenspiegel ist, zu hören.

Der erste Satz des berühmtesten deutschsprachigen Synchronsprechers im Tonstudio war nur kurz. „Vater, gibt es denn hier Indianer?“ fragte der junge Christian Brückner in der Sprecherrolle des Filmsohns von „Papa“ John Wayne in einem Western. Das war Anfang der 1960er Jahre, und Christian Brückner musste den einen Satz oft wiederholen, ehe alles passte: Einmal knisterte er mit dem Manuskript, dann raschelten die Kleider, dann versaute ein scharrender Fuß die Aufnahme. Die Toningenieure waren mit dem Debüt des jungen Berliner Studenten der Theaterwissenschaften keinesfalls zufrieden. Der heute als deutsche Stimme De Niros und Redfords berühmte Brückner plauderte bei seiner Lesung zur Lit.Eifel im Kuhstall des Kulturhofes Velbrück in Metternich locker vom Hocker: „Mein erster Studioauftritt war ein echtes Dilemma in einem Geschäft, in dem doch immer alles schnell gehen muss. Sprechen ist Akkordarbeit.“  Der Theaterstudent fasste den festen Vorsatz: „Nie wieder Studio!“ Gottlob hat Brückner mit diesem Plan gebrochen. Rückblickend war die heitere Episode der Beginn einer beispiellosen Karriere, bei der die Synchronisation heute allerdings einen weniger großen Stellenwert einnimmt als man beim wohlvertrauten Klang dieser einmalig sonoren und fast geflüsterten Stimme vermuten sollte. Denn schon damals hat Brückner quasi „undercover“ eine Art Gegenprogramm veranstaltet, indem er beispielsweise gemeinsam mit seiner Ehefrau Waltraud einen kleinen Verlag gegründet hat. Dort spricht er noch heute Bücher und Texte ein, die ihnen beiden am Herzen liegen und die sie berühren. Rund 180 Literaturfreunde kamen nun zu der von RWE gesponserten Lit.Eifel-Veranstaltung im Metternicher Kulturhof „Velbrück“. Dank der überwältigenden Kartennachfrage mussten einige auf noch kurzfristig herbei geschafften Bierbänken Platz nehmen. Das tat der Zuhörfreude an den Texten und ihrem Rezitator keinen Abbruch. Das voll besetzte Auditorium erlebte im herrlich rustikalen Kuhstall-Ambiente eine grandiose Lesung. In deren Rahmen konnte Deutschlands berühmtester Sprecher die ganze Bandbreite seines Könnens ausspielen ­ und die der facettenreichen Eifelliteratur gleich mit. Mit Texten von Ernest Hemingway, Heinrich Böll und Alfred Andersch entführte Brückner sein gebannt lauschendes Publikum in die klirrende Kälte der wohl schwersten Kämpfe des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden: Die Schlacht im Hürtgenwald. „Es ist faszinierend zu erleben, mit welch unglaublich vielen Schattierungen Christian Brückner den Figuren ihren jeweiligen Charakter, ihre Tiefe gibt, und die Szenerie zum Leben erweckt“, schwärmte eine Besucherin in der Pause. Schaurig klapperte wenig später das Skelett in Tilman Röhrigs Gruselgeschichte „Das Leichenhemd“, die dem alten Eifeler Sagenschatz entstammt. Für großes Vergnügen sorgten die Limericks von Dieter Höss in der Art von „Es kippte ein Winzer aus Mützenich/Vom eigenen Wein voll die Mütze sich“ ebenso wie Ulrich Mehlers beschwingte Beschreibung dörflicher Kommunikationsstrukturen in „Dann hann ich en Ühl ohm Daach“. Charmant und kenntnisreich schuf Moderatorin Claudia Hoffmann Querverbindungen zwischen den einzelnen Texten und entlockte Christian Brückner im Gespräch zudem spannende Hintergrundinformationen. Wie erarbeitet er sich einen Text? Sehr sorgfältig und unter Umständen sehr lange, verriet der Rezitator. Und auf dem Weg dahin, bis er die Zeilen im Studio oder bei Lesungen zum ersten Mal laut spricht, kann der Text schon ein ganz anderer geworden sein. Anderen Menschen etwas zu erzählen sei für ihn immer etwas Besonderes gewesen, „weil die Menschen mit Hilfe von Stimme und Sprache ganz direkt und intensiv zu erreichen sind. Weil zwischen dem, der etwas erzählt, und dem, der zuhört, für diese Stunden eine sonst nirgendwo wiederholbare Beziehung entsteht. Ich bin ganz glücklich darüber, dass mir das möglich ist“. Am Ende der dreistündigen, ungemein kurzweiligen Lesung, bei der nach eigener Aussage auch für den Vorleser die Zeit „wie im Flug“ vergangen war, stand ein fulminantes Finale. Spontan entschieden sich Christian Brückner und Ralf Kramp, einen Text des Autors über „Rotkäppchen“ gemeinsam und mit verteilten Rollen zu lesen. Brückner als gerissenes Rotkäppchen, Kramp als friedliebender und sich vegetarisch ernährender Wolf. Mit schmunzelnden Seitenblicken lief das Vorleserduo zur Höchstform auf und sorgte für viel Gelächter im Publikum. Am Rande verriet Kramp augenzwinkernd, dass sein Text übrigens „das Original“ sei, denn beim Märchen der Gebrüder Grimm handle es sich um „ein freches Plagiat". Text: pp Foto: Manfred Lang/pp


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