Exklusiv-Interview: Wie umgehen mit Russland?
Die Trierer Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) hat deshalb kürzlich gemeinsam mit ihrem langjährigen, ehemaligen Abgeordnetenkollegen Bernhard Kaster (CDU), Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums e.V. und vielen interessierten BürgerInnen versucht, Antworten auf die folgenden Fragen zu finden: "Wie umgehen mit Russland? Wie gestalten wir zukünftig den Umgang mit Russland?" Bernhard Kaster - auch ehemaliger Vorsitzender der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe im Bundestag und Mitglied im Diskussionsforum "Petersburger Dialog" - näherte sich der Frage zunächst in einem Impulsvortrag mit Hintergrundinformationen, den Sichtweisen im größten Land der Welt (50mal größer als Deutschland) auf die Ukraine und Europa, und einem Ausblick auf mögliche Entwicklungen. Ziel des Austauschs an diesem Abend war es, den Blick zu weiten und zu überlegen, wie man aus der aktuellen Krise herauskommen und perspektivisch zur Friedenssicherung wieder eine konstruktive Beziehung zwischen Deutschland und Russland aufbauen kann. Ziel müsse - laut Kaster - ein Waffenstillstand sein. "Dieser Krieg ist durch nichts zu entschuldigen", betonte Kaster. Putin habe es zwar geschafft, die anderen Meinungen und die Opposition zu knebeln, so Kaster. Aber darüber dürfe nicht vergessen werden: "Putin ist nicht Russland und die russische Bevölkerung ist nicht Putin." Deshalb sei es von enormer Bedeutung, auch Kontakte unterhalb der politischen Ebene aufrecht zu erhalten, beispielsweise in Form von Städtepartnerschaften, Hochschulkooperationen, zivilgesellschaftlichem und kulturellem Austausch. "Diese Einschätzung teile ich ausdrücklich," kommentierte Rüffer. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass alle Anwesenden den Wunsch nach Frieden teilen. Ausgehend von diesem gemeinsamen Ziel konnten sehr unterschiedliche Positionen - u.a. zur Rolle der Medien, der Bedeutung der Nato-Osterweiterung, zu Waffenlieferungen und Sanktionen oder im Hinblick auf die politischen AkteurInnen - konstruktiv ausgetauscht werden. Am Ende des Abends war es Rüffer sehr wichtig, auch die Situation der Menschen aus der Ukraine zu beleuchten, die aufgrund des Krieges nach Deutschland geflüchtet sind. "Es ist wichtig und richtig, dass für sie beispielsweise Zugang zum Arbeitsmarkt deutlich erleichtert wurde - und ich hoffe, dass dies künftig für alle Geflüchteten gilt, unabhängig von der Herkunftsregion. Angesichts des eklatanten Fachkräftemangels auch in unserer Region wäre das für Trier und Deutschland insgesamt nur von Vorteil," analysierte die Bundestagsabgeordnete.
Im WochenSpiegel-Interview bezog Rüffer auf die folgenden Fragen Stellung: Wie stellt sich für Sie die Lage der ukrainischen Flüchtlinge in Trier dar? Wissen Sie wie viele es sind, und wie ist Ihre Einschätzung dazu, ob noch viel mehr kommen werden? Könnte unsere Region das verkraften?
Die Hilfsbereitschaft, mit der die zurzeit über 1000 UkrainerInnen (Red. 1.302 Stand 5. August lt. Statistik, Stadt Trier) aufgenommen wurden, ist großartig. Viele von ihnen leben bei Trierer Familien und werden von ihnen auch weiterhin begleitet. Der Bund hat versucht, die sogenannte EU-Massenzustrom-Richtlinie pragmatisch umzusetzen. Zum ersten Mal bekommen Geflüchtete einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt. Das ist gut für sie, aber auch für unsere Region, die jede anpackende Hand gebrauchen kann. Es wäre wichtig, dass auch Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, unbürokratisch aufgenommen werden. Aber es ist natürlich nicht alles Gold, was glänzt. Unsere Systeme sind sehr kompliziert, und oft ist es schwer an Leistungen zu gelangen, die den Menschen zustehen. Ich kenne zum Beispiel eine Familie mit einem behinderten Kind, die sehr schlechte Erfahrungen auf der Suche nach einer inklusiven Schule gemacht hat.
Wir haben in unserer Region leider ohnehin ein Problem noch bezahlbaren Wohnraum zu finden, das sich auch durch den Flüchtlingsstrom noch einmal verstärkt. Wie kann man dieses Problem lösen oder zumindest zeitnah entschärfen?
Ganz unabhängig von den hinzugekommenen Menschen aus der Ukraine muss dieses Problem endlich (!) gelöst werden. Kurzfristig wird das aber sicher nicht funktionieren. Die Stadt Trier ist aufgrund der strukturellen Unterfinanzierung kaum in der Lage, als wirksamer Akteur auf dem Immobilienmarkt aufzutreten. Dabei wäre das schon aufgrund der lange zu beobachtenden Entwicklung, nämlich dass immer mehr Wohnungen aus der Mietpreisbindung fallen, absolut notwendig. Besonders der Bund steht in der Verantwortung, Entlastung zu schaffen. Ganz konkret ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) dringend gefordert, ihre Projekte in Trier zügig zu realisieren. Darüber hinaus müssen die im Koalitionsvertrag angelegten Maßnahmen in den Bereichen zukunftsfähige Innenstädte und Zentren, serielles Bauen, Vorkaufsrecht, Mittelerhöhung im sozialen Wohnungsbau, neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen, aber auch Entbürokratisierung bei den Genehmigungsverfahren konsequent vorangetrieben werden.
Immer mehr Menschen fürchten, dass sie im Winter auch hier kalt sitzen werden, wenn Putin uns den Gashahn endgültig zudrehen sollte, weil sie sich das Heizen schlichtweg nicht mehr leisten können. Wie sieht für diese Menschen eine realisier- und finanzierbare Lösung aus?
Es sind nicht nur sehr viele private Haushalte, die in eine tiefe Krise zu geraten drohen, falls Putin den Gashahn zur Waffe macht. Die Folgen für unsere gesamte Volkswirtschaft könnten dramatisch ausfallen. Das wird uns langsam allen bewusst. Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, besonders diejenigen abzufedern, die steigende Preise gar nicht durch Rücklagen kompensieren können. Es muss dafür gesorgt werden, dass niemandem in dieser Krisensituation Strom und Gas abgestellt werden. Darüber hinaus wird es ein weiteres Entlastungspaket geben müssen, das diesmal ganz gezielt Menschen mit kleinen Portemonnaies in den Blick nimmt.
Auch an den Russland-Experten, Bernhard Kaster, der außer ein paar wenigen persönlichen Freundschaften und dem Kennenlernen von wohl mehreren Flüchtlingen keine näheren Verbindungen in eine russische oder ukrainische Community in Trier unterhält, haben wir noch zwei Fragen gestellt: Auch in Trier gibt's ja die Möglichkeit, russische Produkte einzukaufen, z. B. beim Mix Markt. Haben Sie hier schon von Anfeindungen als "Stellvertreterkrieg" gehört? Wie können diese Händler solchen Anfeindungen begegnen?
Von solchen einzelnen Vorkommnissen speziell in Trier habe ich persönlich jetzt nicht gehört. Bei Anfeindungen oder gar persönlichen Aggressionen gilt für mich immer die Null-Toleranz-Regel! Der brutale Überfall auf die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen; aber politisch motivierte Konflikte zwischen Russen und Ukrainern oder Deutschen und Russen dürfen bei uns im Land konsequent keinen Raum bekommen!
Was können wir hier in der Region tun, um aus Ihrer Sicht zum "deutsch-russischen-ukrainischen Friedensdialog" beizutragen?
Jenseits der Politik wäre es eine wichtige Botschaft durch die Zivilgesellschaft und für die Freundschaft und den Frieden der Völker, bei jeder sich bietenden Gelegenheit dafür einzutreten, die Ukraine und die ukrainischen Flüchtlinge zu unterstützen, gleichfalls dabei die ganze russische Bevölkerung und Kultur nicht zu ächten, und dass unser Mitgefühl den Opfern dieses durch nichts zu rechtfertigenden Krieges sowohl den geschundenen Menschen in der Ukraine, wie aber auch den Tausenden meist sehr junger russischer Soldaten gilt, die durch eine brutale Führung geopfert werden. Wir sollten neue und bisherige Kontakte und Partnerschaften aus Deutschland in die Zivilgesellschaften der Ukraine und auch Russlands fördern, initiieren und erhalten, so schwer es auch ist. "Aus Unkenntnis werden immer wieder Russlanddeutsche - auch von den Behörden - mit hier lebenden Russen verwechselt, obwohl sie als Deutsche doch aus gutem Grund den diktatorischen Regimen in den sowjetischen Nachfolgestaaten den Rücken gekehrt hatten", berichtet Nikolaus Poppitz, Landesvorsitzender der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU, auf unsere Anfrage. "Für sie ist es besonders tragisch, wenn von ihnen auf einmal eine Distanzierung von Putins Krieg gefordert wird oder ihre Bankkonten irrtümlich gesperrt werden." Er sieht das auch als Folge der Kreml-Propaganda, die das Bild einer geschlossenen russischsprachigen Gemeinschaft in Deutschland zeichnet, die es in dieser Einheitlichkeit nicht gibt.
Die Interviews führte
Sabine Krösser