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Andrea Fischer

Der Wind der Freiheit

Region. Wie sieht der Alltag einer Lokführerin aus? Wir haben Lorraine Guhl einen Tag lang begleitet.

Gut gelaunt begrüßt mich Lorraine am Trierer Hauptbahnhof. Hier befindet sich ihr nicht alltäglicher Arbeitsplatz. Sie hat sich ihren Traum verwirklicht. Seit nunmehr zwei Jahren fährt die zierliche junge Frau als Lokführerin bei der Deutschen Bahn tonnenschwere Züge. Allerdings nicht in Lummerland, sondern in der Großregion Trier. Sie sorgt neben den zahlreichen anderen Triebfahrzeugführern dafür, dass Deutschland auf den Schienen mobil ist. Und hat es noch keine Sekunde bereut. Die 35-jährige Lorraine Guhl ist gelernte Automobilfachverkäuferin und kam über Umwege zur Bahn.

Lokomotivführer sein galt lange als ein Kleinjungentraum

Dazu trug nicht zuletzt auch der Kinderbuchklassiker von Michael Ende mit Jim Knopf und dem Lokomotivführer Lukas bei. Diesen Traum kleiner Jungs, den träumen aber natürlich auch Mädchen, so wie Lorraine. Mehrmals die Woche fährt sie nun ein Fahrzeug mit mehr als 500 PS.

Kurz, bevor es mit dem 180 Tonnen schweren Zug losgeht, hängt sich die Triererin noch einmal weit aus dem Fenster. Ihr prüfender Blick geht nach hinten. Sind alle drin? Steht keiner in der Tür? Wenn die Leute eingestiegen sind, kann es losgehen. Den Bahnsteig weiter fest im Blick, drückt sie mit dem rechten Zeigefinger auf einen runden weißen Knopf neben dem Fenster. Der Zug rollt los und lässt den Trierer Bahnhof langsam hinter sich. Nach wenigen Minuten überqueren sie die Mosel bei Pfalzel, die sich im Morgennebel noch recht verdeckt hält. Landschaft rauscht schemenhaft vorbei, Häuser, Dörfer, Bäume, Wälder. Die Morgensonne lässt weiter auf sich warten. Immer zu sehen sind die scheinbar ins Unendliche entschwindenden Schienen, die sich wie ein nie endender Reißverschluss vor dem Zug auftun. Lorraine setzt sich hin, schaut nach vorn. Sie ist allein an ihrem Arbeitsplatz, hat niemanden, mit dem er sich unterhalten könnte. Das stört sie allerdings nicht weiter. Im Gegenteil, sie genießt diese Ruhe. Nur die Fahrdienstleiter, die die Signale für die Züge schalten, hört sie ab und zu über Funk. Bevor der eigentliche Dienst beginnt, hat sie bereits viele Handgriffe erledigt. Technischer Sachverstand ist dabei gefragt. Berufspendler, Schülerinnen und Schüler, sie alle wollen pünktlich zur Arbeit oder in die Schule. Sie erwarten, dass der Zug sie verlässlich zu ihrer Destination bringt. Und nur die wenigsten wissen, dass die Person, in diesem Fall Lorraine, schon vorab einige Zeit mit ihrem Transportfahrzeug beschäftigt war. Lorraine als Triebfahrzeugführerin, so die korrekte Bezeichnung der umgangssprachlich meist benutzten Vokabel Lokführerin, muss vor jedem Dienstantritt prüfen, ob ihr Fahrzeug in Ordnung ist. „Viele stellen sich vor, dass man in den Zug einsteigt und einfach losfährt“, sagt Lorraine schmunzelnd. „So wie beim Auto, aber das ist nicht so.“ Und räumt kurzerhand mit falschen Vorstellungen auf. Wer Lokführer werden möchte, der darf kein Morgenmuffel sein. „Wenn ich morgens den Dienst antrete, das ist jeden Morgen um eine andere Uhrzeit, zwischen zwei und 7.30 Uhr, noch nachts oder am frühen Morgen, dann beginne ich mit dem Vorbereitungsdienst am Fahrzeug. Ohne eine technische Abnahme darf das Fahrzeug nicht in Umlauf gebracht werden. Das Ganze kann zwischen 20 Minuten und einer Stunde dauern.“ Sie testet vorab alle Bremsen sowie die Sicherheitseinrichtungen. „Wenn Fehler auftreten, müssen diese umgehend behoben werden. Man steht persönlich gerade für die Sicherheit der Fahrgäste, muss abwägen und unterschreiben, dass das Fahrzeug so Personen befördern darf oder nicht“, erklärt sie. Dadurch seien Verspätungen manchmal nicht zu vermeiden, aber Unklarheiten müssten aus Sicherheitsgründen sofort beseitigt werden. Nach dem Prüfvorgang begibt sie sich ans Rangieren, der Zug wird zusammengestellt, einzelne Wagen hinzugefügt oder abgehangen.. „ Man muss zudem wissen, wie man seinen Fahrweg einstellt und Signale erkennt. Das ist schon etwas umfangreicher, als manche sich vorstellen.“ Gleichzeitig wird mit dem Fahrdienstleiter kommuniziert. Wenn das Fahrzeug dann technisch abgenommen und fahrbereit ist, beginnt der eigentliche Dienst. „Ich stelle das Fahrzeug am Bahnhof nach dem vorgegebenen Plan bereit, die Zugnummern sind aufgeführt. Daran erkenne ich, wohin ich an diesem Morgen fahre. Ich gebe alle Daten in den Zug ein, die Bänder werden aktualisiert und dann kann es bald losgehen.“

Nur vier von 100 Lokführern sind weiblich

Immer mehr Frauen arbeiten inzwischen in dem noch männerdominierten Beruf. Lorraine gehört dazu. In Trier steuern insgesamt vier Frauen (und rund 100 Männer) die die PS-starken Triebwagen, das macht gerade einmal 4 % aus. Für PS und Technik hatte sich Lorraine bereits von klein auf interessiert. Daher ist nicht weiter verwunderlich, dass sie nach Ende ihrer Schullaufbahn eine Ausbildung unter diesem Aspekt wählte: Als angehende Automobilkauffrau konnte sie kaufmännisches Wissen mit Technik verbinden - ihr gefiel die ausgewogene Mischung aus Praxis und Theorie.

Als sie dann aus familiären Gründen nach Frankfurt umzog, landete sie beruflich über einen Quereinstieg beim Vertrieb der Bahn im Reisezentrum in Frankfurt. „Das war mein Einstieg in das Unternehmen Bahn, mein beruflicher Fokus lag damals am Frankfurter Hauptbahnhof. Ich sah die Stellenausschreibungen als Triebfahrzeugführer. Dann hat es mich gekitzelt, ich wollte nicht länger nur im Büro rumsitzen, sondern auf der Strecke unterwegs sein.“ Sie wollte den Wind der Freiheit spüren. „Anfangs habe ich mir das gar nicht zugetraut, dann hat mich mein Mut gepackt und ich habe mich beworben.“ Schnell fand sie sich im Vorstellungsgespräch wieder - was sich im Nachhinein allerdings als die kleinste Hürde beim Bewerbungsmarathon herausstellte. „Dann kamen jede Menge Tests, ein medizinischer, ein psychologischer, ein Reaktionstest. Man musste ganz gesund sein, um dem Druck standhalten zu können, der unweigerlich kommen würde.“ Die meisten Bewerber scheiterten bereits an den ersten Prüfungen. Weitere Voraussetzungen für den Quereinstieg waren eine entsprechende Schulbildung und eine abgeschlossene Berufsausbildung. Lorraine bekam eine Zusage, es ging dann weiter mit einer zehnmonatigen Ausbildung. Neben Blockunterricht in der Berufsschule kamen Fahrzeugausbildung, Fahrttage und Technik noch hinzu. Nach bestandenen Klausuren und der Abschlussprüfung mit Fahrprüfung und Fahrzeugabnahme darf sie heute offiziell die Berufsbezeichnung „Triebfahrzeugführerin“ tragen. Im Januar 2020 beendete sie ihre zweite Ausbildung, im Juni 2020 kehrte sie wieder nach Trier zurück.

Als Zugchefin ist sie verantwortlich für die Passagiere

Seitdem ist sie Lokführerin beziehungsweise Triebverkehrsführerin im Nahverkehr und Zugchef in einem. Zu den regelmäßigen Strecken, die sie abfährt, gehören Fahrten von Trier nach Koblenz, oder bis Perl, Saarbrücken, Kaiserslautern, Mannheim oder nach Luxemburg Stadt. Als Zugchefin ist Lorraine zuständig für die Passagiere und besitzt gleichzeitig Hausrecht. Sie ist verantwortlich für das, was im Zug passiert. Der Alltag manchmal kann auch stressig sein, bemerkt sie, besonders wenn betrunkene Fahrgäste zusteigen oder Passagiere ärztliche Hilfe brauchen. Ihre bislang schockierendste Erfahrung machte sie mit einem drogenabhängigen Fahrgast, der bewusstlos im Zug lag und anschließend mit einem Krankenwagen abtransportiert werden musste. Über manche Dinge, die in der täglichen Routine passieren, kann sie sich allerdings nicht mehr aufregen und sieht es gelassen. So passiere es manchmal, dass Fahrgästen der Zug vor der Nase wegfährt, weil etwa die Zigarettenpause zu ausführlich war. Und auch Gepäck wird ganz gerne mal vergessen. „Es kommt auch schon mal zu Verzögerungen, wenn Fahrgäste meinen, sie müssten die Tür blockieren. In diesem Fall können wir nicht weiter fahren. Denn aus Sicherheitsgründen für die Fahrgäste müssen die Türen geschlossen sein.“

Leider hat Lorraine während ihres Dienstes auch schon Unfälle erlebt. Viele Leute unterschätzen die Geschwindigkeit von Zügen und die Abstände zum Bahnsteig oder kürzen leichtsinnig über die Gleise ab, statt die ausgewiesenen Wege zu gehen, berichtet die routinierte Lokführerin. „Es passiert leider immer wieder, dass Leute gerade durch Handys oder Kopfhörer abgelenkt sind oder einfach über die Schienen laufen und dann verunglücken. Wir können nicht ausweichen!“

Strecken von 600 bis 800 Kilimeter pro Schicht

Pro Schicht steuert Lorraine ihr schweres Fahrzeug viele Kilometer quer durch das Land, oft legt sie Strecken von rund 600-800 km zurück. „Es können auch mal weniger sein.“ All das gefällt ihr, sie liebt ihre Arbeit und zählt gleich mehrere Gründe auf. „ Ich bin mein eigener Chef. Wenn ich so raus fahre, stehe mir selbst sehr nah. Ich darf und muss entscheiden, immer wieder aufs Neue. Das macht den Reiz aus. Obschon man natürlich Regeln und Unterweisungen befolgen muss, ist man sein eigener Herr.“ Das Teamwork funktioniere, besonders als Frau fühle sie sich bestens akzeptiert. Dabei falle ihr gerade das Thema Gleichstellung im Unternehmen Bahn positiv auf, was ja je nach Branche, immer noch nicht selbstverständlich ist. „Ich hatte nie das Gefühl, dass ich als Frau schlechter behandelt werde als die Männer, weder vom Gehalt noch vom Umgang her. Das Schöne hier ist das gute Verhältnis zu Kollegen und das Gemeinsamkeitsgefühl. Hier gibt es keine ungleiche Bezahlung der Arbeit, die Besoldung Frauen/Männer ist gleich. Bei uns bekommen alle das gleiche Gehalt für gleiche Arbeit. “ Das das nicht immer so ist, habe sie bereits selbst erlebt, leider im umgekehrten Sinne in der in der freien Wirtschaft. Deshalb fühle sie sich hier wirklich gut aufgehoben.

Lorraine gefällt es, ab und zu unter der Woche frei und dann Zeit für Familie und Freunde zu haben. Oder um einem ihrer wenigen Hobbies nachgehen zu können. „Ich genieße es mittlerweile, dass ich in meinem Berufsleben viel auf mich allein gestellt bin. Daher freue ich mich andererseits in der Freizeit wieder ein bisschen mehr Trubel zu haben.“ Sie liest viel, spielt etwas Klavier, trifft sich mit Freunden zum Essen oder geht ins Kino. Und besonders gut gefällt ihr, dass sie ihren Beruf in Trier ausüben kann und damit nah bei der Familie ist. Denn Trier „ ist meine Heimatstadt, da sind die Wurzeln, es zieht einen halt immer wieder zurück.“ Alles sei kleiner, übersichtlicher, auch ihr Arbeitsplatz bei der Bahn. „Man kennt sich, es ist etwas persönlicher und man hat trotzdem die Vielfalt. Ich liebe das besonders, denn kein Tag ist wie der andere.“ Bereut sie ihre Entscheidung, diesen doch ungewöhnlichen Beruf ergriffen zu haben? Heftig schüttelt sie den Kopf. „ Ich würde das jederzeit wieder machen. Ja, eigentlich bin ich ein bisschen traurig, dass ich nicht schon früher auf die Idee kam.“

Text: Monika Traut-Bonato


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