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"Ich bin meinem Spender sehr dankbar"

Bei sonnigem Herbstwetter einen kleinen Spaziergang machen – das wäre für Charlotte vor dem Berge bis vor kurzem noch undenkbar gewesen. Die 31-Jährige leidet an der Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose (CF). Ihre Lunge war kaum noch funktionstüchtig. Eine Transplatation rettete ihr vor gut einem Jahr das Leben. Dem WochenSpiegel hat sie erzählt, wie es ihr heute geht.

Es war kurz vor Weihnachten als die erlösende Nachricht für Charlotte vor dem Berge kam. Die Nachricht, auf die sie die Monate lang im Krankenhaus gewartet hatte: Es gibt eine Spenderlunge. "Es kamen eine Menge Ärzte in mein Zimmer und teilten mir mit, dass es in einer Stunde losgeht. Die Lunge wäre schon unterwegs", erinnert sich die 31-Jährige zurück. "Ich war sehr erleichtert, dass die Quälerei nun endlich ein Ende haben würde." Charlotte vor dem Berges Lungenfunktion betrug damals nur noch 18 Prozent. Sie war dauerhaft auf Sauerstoff aus der Flasche angewiesen. Nachts war sie außerdem an eine Beatmungsmaske angeschlossen. Bei unserem ersten Interview vor gut einem Jahr befand sich ihre Krankheit im Endstadium.

Drei Monate Beschwerden

Die OP dauerte sechs Stunden. Sie war erfolgreich. "Direkt danach ging es mir allerdings ziemlich bescheiden. Man bekommt nach der OP Schläuche in den Brustkorb gelegt, die das Wundsekret nach Außen befördern. Das hat stark geschmerzt. Auch der Rücken hat weh getan, da bei dem Eingriff die Rippen gespreizt werden müssen", erzählt die 31-Jährige. Außerdem traten Probleme mit dem Verdauungstrakt auf. "Ich hatte eine Störung bei der Magenentleerung, wodurch ich immer wieder erbrochen habe." Knapp drei Monate dauerte es, bis die Beschwerden besser wurden.

"Es ist relativ unangenehm aber auszuhalten"

Die 31-Jährige musste allerdings noch weitere Prozeduren über sich ergehen lassen. Nach der OP wurde immer wieder mit einem Schlauch, der durch die Nase oder den Mund in die Lunge geführt wurde, Wundsekret und Schleim abgesaugt. "Es ist relativ unangenehm aber auszuhalten", sagt vor dem Berge. Einmal täglich musste sie zum Röntgen, um einen Lungenriss auszuschließen. Nach dreieinhalb Wochen in der Klinik ging es in die Reha und von da aus endlich nach Hause. So schmerzhaft und kräftezehrend die Zeit nach der OP auch war, Charlotte vor dem Berge ist dankbar. "Mittlerweile geht es mir ziemlich gut. Ich kann frei atmen und meine Lunge hat über 100 Prozent Lungenvolumen. Die Einschränkungen, die ich durch meine alte Lunge hatte, gibt es nicht mehr", erzählt sie glücklich. Sie merkt allerdings auch an: "Man ist hinterher natürlich nicht zu 100 Prozent gesund. Man tauscht alte Probleme gegen neue ein, die aber viel leichter zu behandeln und zu ertragen sind."

Anonyme Spende

Viel weiß Charlotte vor dem Berge über ihren Lungenspender nicht. "Es ist ja eine anonyme Spende. Ich habe erfahren, dass meine Lunge aus Südtirol (Italien) kam. Mehr nicht. Ich bin meinem Spender sehr dankbar und hoffe, dass die Angehörigen ihren Verlust verarbeiten können." Keine einfache Situation. "Mir war von vorneherein bewusst, dass es sich um einen hirntoten Spender handeln wird. Ich habe die Lunge deshalb von Anfang an 'meine' akzeptiert."

Neues Leben ermöglicht

Die Transplatation hat Charlotte vor dem Berge ein neues Leben ermöglicht. "Mittlerweile geht es mir so gut, dass ich neben meiner Erwerbsminderungsrente wieder auf 450 Euro Basis in meinen alten Job zurückkehren konnte. Ich hoffe, dass ich wieder halbtags arbeiten kann, wenn die Rente in zwei Jahren ausläuft", sagt vor dem Berge, die einen Masterabschluss in molekularer Biotechnologie hat. Einmal die Woche muss sie derzeit noch zum Hausarzt zur Blutabnahme, um Leber- Nieren- und Blutwerte zu kontrollieren. Nicht das einzige, woran sich die 31-Jährige halten muss: "Man sollte im ersten Jahr Menschenmassen meiden und zur Erkältungszeit im Supermarkt, beim Arzt oder in der Klinik immer einen Mundschutz tragen und sich regelmäßig die Hände desinfizieren. Außerdem soll man keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und sich keimarm ernähren - ähnlich wie in einer Schwangerschaft. Das ist aber alles auszuhalten. Im Vergleich zu vorher sind das Kleinigkeiten."

Wünsche erfüllt

Für die Zeit nach ihrer Transplatation hatte die 31-Jährige große Pläne, wie sie uns bereits im vergangenen Interview erzählte. Ein rotes Cabrio wollte sie und mit ihrem Mann und ihrem Hund reisen. Beides konnte sie sich mittlerweile ermöglichen. "Wir waren im Sommer an der mecklenburgischen Seenplatte und in Usedom. Ich habe es genossen, endlich wieder ohne großen Aufwand verreisen zu können." Für das nächste Frühjahr haben sie und ihr Mann eine Japanrundreise geplant. "Wir wollten eigentlich schon 2016 fliegen, mussten die Reise dann aber leider stornieren, weil ich einen schweren gesundheitlichen Einbruch hatte, der letztlich auch zu meiner Listung und Transplatation geführt hat." Auf ihrem Facebook-Blog "Lottchen 2.0" informiert Charlotte vor dem Berge über ihr Leben mit der neuen Lunge.

Extra: Organspende

Es gibt zu wenig Organspenden in Deutschland. Laut Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation hat die Spende im vergangenen Jahr Tiefpunkt erreicht. Um das zu ändern, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Widerspruchslösung vorgeschlagen. Mit dieser soll künftig jeder Deutsche automatisch zum Spender machen, es sei denn er widerspricht. "Ich halte die Widerspruchslösung für eine gute Sache, da es viele Menschen gibt, die zwar für Organspende sind, aber trotzdem keinen Organspendeausweis haben. Mit diesem Ansatz würde jeder Spender werden. Wer nicht spenden möchte, kann ja widersprechen. Dieses Prinzip wird ja in vielen europäischen Ländern praktiziert, warum auch nicht in Deutschland?", sagt Charlotte vor dem Berge.

Hintergrund: Mukoviszidose

Mukoviszidose ist die häufigste erbliche Stoffwechselerkrankung in unseren Breiten. In Deutschland erkranken etwa 8000 Kinder und junge Erwachsene daran. In der Region Trier gibt es aktuell 46 Betroffene (21 Erwachsene und 25 Kinder). Durch die Krankheit werden alle körpereigenen Sekrete eingedickt produziert. Ein zäher Schleim verklebt so vor allem die Lunge und die Bauchspeicheldrüse. Schrittweise verlieren die Organe ihre Funktionstüchtigkeit. Am Ende fehlt den Betroffenen die Kraft zum Atmen. Durch lebenslange Krankengymnastik, Inhalationen und Medikamente haben sich die Chancen der Betroffenen in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Heilbar ist die Krankheit nach wie vor nicht. Bei betroffenen Kindern wird Mukoviszidose in der Regel in den ersten Wochen nach der Geburt festgestellt. Seit September 2016 ist der Test auf die Erkrankung Teil des Neugeborenen-Screenings. Nach einem auffälligen Ergebnis ist eine weiterführende Diagnostik – der sogenannte Schweißtest – nötig, um die Krankheit nachzuweisen. In der Region Trier gibt es eine Selbsthilfegruppe für Betroffene. Weitere Informationen zur Krankheit gibt es hier.


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