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Die Eifeler Genossen und ihre unorthodoxe Kandidatenkür

Unter den Bewerbern befindet sich auch RPR1-Kultmoderator Andreas Kunze. Foto: BESTFALL

Unter den Bewerbern befindet sich auch RPR1-Kultmoderator Andreas Kunze. Foto: BESTFALL

Von 1990 bis 2002 saß Elke Leonhard als Sozialdemokratin für die Eifel im Bundestag. Nach ihr gelang keinem Genossen aus der Region mehr der Sprung ins deutsche Abgeordnetenhaus. 2013 scheiterte SPD-Nachwuchs Jens Jenssen aus der Vulkaneifel. Jetzt soll den Wahlkreis 203 jemand ganz anderes für die SPD erobern. Nur wer? Antwort gibt eine Stellenanzeige. Von Politikverdrossenheit ist offenbar auch jenseits der Wutbürger, die sich in neuen Protestparteien tummeln, keine Spur. Anders ist kaum erklärbar, dass die im Internet veröffentlichte Stellenanzeige der Eifeler Sozialdemokraten auf so große Resonanz traf. Drei Monate hatten Interessierte Zeit, online ihre Bewerbungen einzureichen, am Ende waren es 118. »Damit hatten wir so gar nicht gerechnet«, gibt Nico Steinbach, SPD-Landtagsabgeordneter und Ideengeber der unorthodoxen Kandidatensuche, zu. Auch die Qualität der eingereichten Bewerbungen überrascht: »Es ist kaum Klamauk dabei. Ganz viele bringen politische Erfahrung mit und haben einen politischen Hintergrund, etwa aus ihrer Tätigkeit in Behörden und Verbänden. Allen ist anzumerken, dass sie es ernst meinen und wirklich ein Bundestagsmandat für die Sozialdemokraten als Ziel haben.«
Vielleicht ist das Ziel auch für die Eifeler SPD selbst durch die ungewöhnliche Aktion in deutlich größere Nähe gerückt als bei früheren Wahlkämpfen. »Die Ausgangssituation ist für die Sozialdemokraten in der Eifel nicht gut, der Wahlkreis 203 ist für sie nur sehr schwer zu gewinnen. Mit einem Sieg können sie nicht von vornherein kalkulieren«, sagt der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun. »Aber mit dieser sehr unkonventionellen Form gelingt es ihnen, viel öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Das kann auch als Signal der Offenheit verstanden werden und der Bereitschaft, neue Wege zu gehen.«

Promibewerbung

Zu den Bewerbern gehört auch Andreas Kunze, RPR1-Kultmoderator mit notorischer Neigung zu Späßen und zu allerlei Seemannsgarn. »Eigentlich sind die Namen der Bewerberinnen und Bewerber vertraulich, aber da Kunze es selbst öffentlich gemacht hat, können wir ihn nennen«, sagt Nico Steinbach über diesen prominenten Bewerber, der wohl näher unter die Lupe genommen und zum Gespräch geladen wird. Und wie der Kunze seine Bewerbung öffentlich gemacht hat! Sein Slogan frei nach Barack Obama: »Kunze kann’s!« Auf allen Kanälen wie Facebook oder YouTube trat Kunze als Wahlkämpfer hervor und scheute sich nicht vor emotional wuchtigen Bildern: Kunze im Kuhstall, Kunze im Maisfeld, Kunze beim Bitburger Bier. Zunächst keimte in den sozialen Medien der Verdacht auf, es handele sich um einen typischen Kunze-Scherz.
Aber im Gespräch mit dem WOCHENSPIEGEL gibt er sich ernst… und mit engen Bezügen zu jener Landschaft, die er als Bundestagsabgeordneter vertreten müsste, obwohl er aus Worms stammt. »Ich bin Mitglied im Golfclub Baustert und kenne die Region gut«, sagt er. Auch mit den ländlichen Strukturen der Eifel sei er vertraut: »Mein Großvater war Landwirt und ich habe selbst viel Zeit auf dem Bauernhof verbracht. Darum liegt mir besonders am Herzen, dass die Dörfer der Eifel nicht aussterben und dass es gute Lösungen für die Landwirtschaft gibt, mit ihren tollen Produkten.« So findet er die Regionalmarke Eifel klasse. Sollte er das Rennen um das SPD-Bundestagsmandat im Wahlkreis 203 machen, werde er in die Eifel ziehen. »Meine Familie steht da voll hinter mir. Wir müssen uns doch wieder mehr politisch engagieren«, beschreibt er seine Grundmotivation und bezieht klar Position gegen eine »selbst ernannte Alternative, die genau das nicht ist«.

Ernste Sache

Klingt alles gar nicht nach Ulk, sondern nach aufrichtigem Anliegen. Das allerdings wird, wie er sagt, nicht so weit gehen, sich als künftiges Parteimitglied auf Linie zu bringen. Und da könnte dann der Hase im Pfeffer liegen. Denn Nico Steinbach macht klar: »Für die Nominierung als SPD-Bundestagskandidat ist die Mitgliedschaft Bedingung.« Zwar stand in der Ausschreibung nur, dass der- oder diejenige sich mit den Zielen der Sozialdemokratie identifizieren können muss, aber letztlich trifft eine Wahlkreiskonferenz am 25. November die Entscheidung. »Wer unsere Kandidatin oder Kandidat wird, ist in jedem Fall ganz normal basisdemokratisch legitimiert.«
Angesichts der Tatsache, dass mehr als zwei Drittel der Bewerbungen von Männern stammt, sei das Geschlecht dennoch gleichgültig, sondern: »Es muss menschlich passen«, so Steinbach. Nicht zuletzt die persönliche Verbundenheit zur Eifel sei ein »markantes Kriterium«. Ebenfalls muss die Bereitschaft da sein, den Lebensmittelpunkt in der Eifel zu haben oder ihn hierhin zu verlagern. Da die Bewerbungen aus der gesamten Eifel und in einzelnen Fällen sogar aus der Landeshauptstadt oder ferneren Regionen des Bundesgebiets eintrafen, dürften am Ende nur eine oder zwei Handvoll echt geeigneter Kandidatinnen oder Kandidaten übrig bleiben. Ab dem 7. Oktober geht es in die heiße Phase mit Gesprächen von Angesicht zu Angesicht. Ein Nebeneffekt ist der SPD mit dem Coup einer Stellenanzeige auf jeden Fall gelungen: »Es ist jetzt deutschlandweit klar, welche Arbeit Sozialdemokratie in der Eifel leistet«, sagt Steinbach. Wie der Gegenwind aussieht, auf den sich laut Jobbeschreibung jeder einstellen muss, der die Eifel-SPD bei der Bundestagswahl 2017 vertritt, wird man sehen. Auf jeden Fall dürfte er Patrick Schnieder heißen. ako


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