Seitenlogo
Sybille Schönhofen (bil)

"Hier ist geschludert worden"

Weil er 1,5 Millionen Euro aus dem Etat des Jugendamtes Bitburg-Prüm veruntreut hat, muss ein Sachbearbeiter der Verwaltung für vier Jahre ins Gefängnis.

Das Urteil fiel am heutigen Dienstag am Landgericht in Trier. Es war der zweite Verhandlungstag im Untreueprozess gegen den 59-jährigen vierfachen Familienvater. Bereits am ersten Prozesstag hatte der Mann gestanden, in 13 Jahren eine Gesamtsumme von 1,5 Millionen Euro aus dem Etat des Jugendamtes abgezweigt zu haben. »Eine kaum zu beschreibende Naivität« innerhalb der Kreisverwaltung habe es ihm leicht gemacht, nahm der Bitburger Rechtsanwalt Wolfgang Simon die mangelnde Kontrolle ins Visier.
Drei Mitarbeiter aus der Kreisverwaltung wurden am Dienstag gehört, um zu beleuchten, wie es möglich sein konnte, dass von 2005 bis 2018 monatlich Beträge für Pflegefälle ausgezahlt wurden, die es gar nicht gab. Der Angeklagte hatte ein System gefunden, mit dem er Geld für Pflegekinder an unterschiedliche Namen, aber immer die gleiche Kontonummer überweisen ließ, was niemandem auffiel. Dafür hatte er seine Stieftochter ein Konto bei der Kreissparkasse anlegen lassen. Gutgläubig überließ ihm die Stieftochter das Konto zur alleinigen Nutzung, was durch Videoaufnahmen der Bank bewiesen werden konnte, die immer nur den Angeklagten bei Barauszahlungen am EC-Automaten zeigten.

"Es tut mir unendlich Leid"

Niemand habe von seinen Taten gewusst, versicherte der Angeklagte, als er vor der Urteilsverkündung noch einmal das Wort ergriff. Unter Tränen und von Schluchzen erschütterter Stimme beteuerte er: »Es tut mir unendlich Leid und ich bereue unendlich, das Vertrauen meiner Familie und meines Arbeitgebers missbraucht zu haben. Es tut mir Leid, dass ich alle, die an mich geglaubt haben, so im Stich gelassen habe und den Ruf von Jugendamt und Verwaltung so geschädigt habe. Ich bin Schuld daran, sonst keiner. Ich habe alles kaputt gemacht.«
Seit 1990 war der Angeklagte bei der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm beschäftigt, zuletzt als Sachbearbeiter in der Jugendhilfe. Als solcher verdiente er 3200 Euro im Monat. Das habe nicht mehr gereicht, als seine Frau 2005 mit einem Sonnenstudio scheiterte und das zweite Gehalt wegfiel. Er habe die Existenz bedroht gesehen und eine zusätzliche Einnahmequelle gesucht.
Im Juli 2018 fiel einem externen Dienstleister, der von der Kreissparkasse mit einer Routine-Geldwäsche-Prüfung beauftragt war, auf, dass auf dem Konto, das der Angeklagte für seinen Betrug nutzte, regelmäßig Barauszahlungen von 1000 Euro getätigt wurden. Das brachte den Stein ins Rollen. Die Kreissparkasse setzte sich mit der Kontoinhaberin in Verbindung. Als ihr Stiefvater davon erfuhr, wusste er, dass er auffliegen würde und stellte sich der Kriminalpolizei. Der Landrat setzte daraufhin eine Taskforce in der Kreisverwaltung ein, um prüfen zu lassen, wie viel Geld auf welchen Wegen abhanden gekommen war.
Das Gericht rief am Dienstag die beiden Hauptprüfer, den Fachbereichsleiter für Finanzen und die Fachbereichsleiterin »Wirtschaftliche Jugendhilfe«, sowie den Jugendamtsleiter in den Zeugenstand, um zu durchleuchten, wie das Betrugssystem funktioniert hat. Niemand in der Kreisverwaltung habe den Kollegen je verdächtigt, ihm seien alle Auszahlungen plausibel erschienen, sagte der Amtsleiter, der die Geldzuweisungen alle abgezeichnet hatte.  Auch bei den stichprobenartig überprüften Akten fiel weder ihm, noch dem Rechnungsprüfungsamt oder dem Rechnungsprüfungsausschuss etwas auf.

"Fahrlässigkeit der Behörde"

»Hier ist geschludert worden. Die Fahrlässigkeit der Behörde muss ins Gewicht fallen«, forderte der Verteidiger. »Schärfere Kontrollen hätten es verhindern können«, sagte auch der Staatsanwalt. »Das angewandte Kontrollsystem war sehr lückenaft. Es war kein allzu schwieriges Unterfangen, die Schädigung herbeizuführen«, das sah auch die Vorsitzende Richterin so. Die Mitarbeiter der Kreisverwaltung  sagten aus, dass demnächst eine Software zur Kontrolle eingeführt werde. So lange herrsche das Sechsaugenprinzip. »Nicht mal jetzt sind hier ernsthafte Maßnahmen getroffen worden«, schimpfte Rechtsanwalt Wolfgang Simon »Da muss man in Zukunft in mancher Verwaltung die Dinge anders handhaben«, schloss die Richterin.
Das Gericht blieb in seinem Urteil ein Jahr unter der Forderung des Staatsanwalts, der fünf Jahre Gesamtfreiheitsstrafe für die 238 Fälle, in denen insgesamt rund 700.000 Euro veruntreut wurden, als angemessen an. Nicht zur Anklage standen weitere Fälle, weil sie verjährt sind. Erschwerend fällt ins Gewicht, dass der Angeklagte Beamter ist. Diesen Status sowie den Anspruch auf seine Altersversorgung verliert er nun.

Hintergrund

Strafmildernde Umstände

  • Der Angeklagte ist nicht vorbestraft
  • Er zeigt Reue und legte ein Geständnis ab
  • Sein Gesundheitszustand ist schlecht
  • Er  bemüht sich um Wiedergutmachung (was allerdings in der Höhe unmöglich ist). Er hat dafür ein Auto verkauft (21.000 Euro), bot seine beschlagnahmten Kontoguthaben (22.000 Euro) und sein Haus an, das allerdings inzwischen gepfändet ist.  Mehr sei nicht mehr vorhanden.


Meistgelesen