Nikolas Leube

"Ich habe mein Leben dieser Stadt gewidmet"

Prüm (leu). In der Basilika Prüm trifft der WochenSpiegel Monika Rolef. Im Gespräch erzählt sie von prägenden Kindheitserlebnissen, ihrem jahrzehntelangen Engagement und dem Wunsch, dass Prüm seine Geschichte nicht vergisst.

"Erinnern darf nicht aufhören" - Monika Rolef vor der Gedenktafel für Pfarrer Zilliken in der Basilika Prüm.

"Erinnern darf nicht aufhören" - Monika Rolef vor der Gedenktafel für Pfarrer Zilliken in der Basilika Prüm.

Bild: Nikolas Leube

Frau Rolef, Sie wurden 2020 zur ersten Ehrenbürgerin in der Geschichte Prüms ernannt - wie fühlt sich das an?

Als ich hörte, dass ich zur Ehrenbürgerin ernannt werden soll - oder schon geworden bin -, war das für mich eine große Freude. Es kam überraschend, aber irgendwo auch als Anerkennung für das, was ich über viele Jahrzehnte hinweg für die Stadt, für die Kirche und die Gemeinschaft getan habe. Ich war im Stadtrat aktiv, habe Initiativen gegründet, Bücher geschrieben - aktuell arbeite ich am neunten -, und viele Projekte ins Leben gerufen. Ich glaube, dass die Ehrung eine Anerkennung für das ist, was ich über Jahrzehnte eingebracht habe, und das ist für mich eine große Ehre.


Sie sind seit über 40 Jahren ehrenamtlich engagiert - was war Ihr Antrieb, sich auf diese Weise für Ihre Stadt einzusetzen?

Ich habe als Kind den Zweiten Weltkrieg miterlebt, und besonders die Explosion am Kalvarienberg 1949 hat mich tief geprägt. Diese Zeit des Leidens, der Zerstörung, aber auch des Wiederaufbaus - das steckt in mir bis heute. Wir haben überlebt, weil jeder dem anderen geholfen hat. Ich habe erlebt, wie wir nach der Evakuierung zurückkamen und vor dem Nichts standen. Wie fremde Frauen uns Butterbrote brachten, weil wir völlig unterernährt waren.

Das Leid, aber auch der Zusammenhalt der Menschen - das war mein Antrieb. Ich wollte die Geschichte bewahren, weitergeben, aufklären. Deshalb schreibe ich Bücher, halte Führungen und habe auch das Stadtarchiv mit aufgebaut. Ich habe mich unter anderem auch dafür eingesetzt, dass Gedenktafeln an wichtigen historischen Orten aufgestellt werden - etwa am Friedhof, wo das erste Kloster gegründet wurde, oder für Pfarrer Zilliken, der in Prüm gegen die Nationalsozialisten gepredigt hat und später im KZ Dachau ums Leben kam. Ihm zu Ehren wurde auf meinen Vorschlag hin der Zillikenweg benannt.


Sie sagen, die Explosion von 1949 habe Sie geprägt. Wie hat dieses Ereignis Ihr Denken und Handeln beeinflusst?

Sehr tief. Ich war neun Jahre alt, wir waren im Wald Beeren pflücken, als es passierte. Plötzlich durften wir nicht mehr zurück in die Stadt. Wir sahen, wie der Kalvarienberg brannte, und später, wie er in die Luft flog. Mein Vater fuhr damals mit seinem LKW in die Stadt, um nach Verletzten zu schauen - dabei ist er schwer verletzt worden und später an den Folgen gestorben. Dieses Erlebnis, dieser Verlust, hat mein Leben geprägt. Es wurden viele Filmberichte darüber gemacht, ich habe unzählige Texte geschrieben und mich immer wieder dafür eingesetzt, dass die Opfer und die Geschehnisse nicht vergessen werden.


Sie kennen jede Ecke von Prüm - gibt es für Sie einen ganz besonderen Ort mit persönlicher Bedeutung?

Der Kalvarienberg ist für mich ein Ort von großer Bedeutung - durch die Geschichte, die sich dort abgespielt hat, aber auch wegen der Erinnerungen an meinen Vater. Ein anderer besonderer Ort ist der Friedhof - dort befindet sich die Stelle, an der das erste Kloster gegründet wurde. Wir haben dort eine historische Tafel angebracht und sogar eine Beleuchtung installiert. Auch der Tacholinger Weg mit seinen großen Figuren liegt mir am Herzen - den habe ich mitgestaltet. Und natürlich die Basilika, mit dem päpstlichen Schirm und den Reliquien wie den Sandalen Christi, die ca. 1300 Jahre alt sind.
Wie erleben Sie den Wandel in der Stadt - was hat sich verändert, was sollte erhalten bleiben?

Prüm hat sich stark verändert. Ich habe den Wiederaufbau miterlebt - wie die Menschen auf den Trümmern hockten, nach verwertbaren Dingen suchten, und Stück für Stück ihre Häuser wieder aufbauten. Heute ist vieles davon kaum noch sichtbar. Es ist wichtig, dass das erhalten bleibt, was Prüm ausmacht - historisch, kulturell, aber auch menschlich. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass das Prümer Lamm - das Symbol der Stadt - wieder korrekt dargestellt wird. Und viele andere Dinge, die beinahe verloren gegangen wären. Wir müssen diese Wurzeln bewahren, sonst verlieren wir unsere Identität.


Sie haben Persönlichkeiten wie Angela Merkel und Joachim Gauck durch Prüm geführt - was bleibt Ihnen davon besonders in Erinnerung?

Das war schon etwas Besonderes. Der letzte war Herr Gauck - man hat sofort gemerkt, dass er einen religiösen Hintergrund hat. Besonders eindrücklich war aber der Besuch von Frau Merkel. Ich war damals als Bertrada von Mürlenbach verkleidet - in historischem Gewand - und stand ganz allein in der Kirche, als sie auf mich zukam. Das war ein besonderer Moment. Ich habe viele solche Begegnungen gehabt - fünf Gästebücher voller Einträge von Besuchern, Schülern, Politikern. Auch Günter Grass war einmal hier. Solche Begegnungen bleiben in Erinnerung.


Ihr Buch "Komm, ich zeig dir Prüm" erzählt Geschichte anhand von Straßen. Warum gerade diese Perspektive?

Weil jede Straße, jeder Weg, jede Flur in Prüm eine Geschichte erzählt. Ich habe alle 105 Straßen der Stadt aufgearbeitet - woher der Name kommt, wo die Straße liegt, welche Bedeutung sie hat. Schon als Kind habe ich Flurnamen gesammelt. Dieses Wissen wollte ich bewahren, weil viele dieser Namen heute verschwinden. Mein Archiv ist riesig, und vieles davon ist in dieses Buch geflossen. Es ist ein Beitrag zur lokalen Identität.


Was ist für Sie Heimat - und warum ist es wichtig, sie aktiv mitzugestalten?

Prüm ist meine Heimat. Ich hänge mit Leib und Seele daran. Für mich bedeutet Heimat nicht nur ein Ort, sondern auch Erinnerungen, Menschen, Geschichte. Mein Vater ist hier gestorben, vier Brüder meines Vaters sind im Krieg geblieben, ihre Familien haben bei uns Trost gesucht. Unser Haus in der Ritzstraße ist eines der ältesten von Prüm - 1666 erbaut. Ich bin damit tief verbunden. Heimat muss man gestalten, sonst verliert man sie. Wir haben früher überlebt, weil jeder dem anderen geholfen hat. Dieses Miteinander - das ist für mich Heimat.


Sie gelten als Bewahrerin des kulturellen Erbes der Stadt - wer soll diesen Staffelstab einmal übernehmen?

Das ist eine gute Frage. Ich wünsche mir, dass junge Menschen sich dafür interessieren - und dass sie die Geschichte kennen und weitergeben wollen. Die nächste Generation hat das alles nicht erlebt. Und Geschichte bleibt nur lebendig, wenn man sie weiterträgt. Ich habe viele Mitstreiterinnen im Verein "Frauenschuh", mit denen ich Projekte umsetze. Aber letztlich muss jede Generation ihren eigenen Zugang finden. Ich habe versucht, so viel wie möglich zu dokumentieren, aufzuschreiben, zu gestalten - in der Hoffnung, dass es nicht verloren geht. Ich habe ein Archiv, das würde jeden Historiker blass machen. Aber das alles bringt nichts, wenn es keiner weiterführt.


Was wünschen Sie sich ganz persönlich für die Zukunft von Prüm - und für sich selbst?

Für Prüm wünsche ich mir, dass die Menschen sich erinnern - an die Geschichte, an das, was die Stadt ausmacht. Und dass sie die Werte, den Zusammenhalt, die Kultur bewahren. Was ich mir für die Zukunft wünsche? Frieden. Und dass wir uns wieder mehr umeinander kümmern. So wie früher. Kein Haus war abgeschlossen, jeder kannte jeden. Für mich selbst wünsche ich mir, dass ich noch lange in der Lage bin, diese Arbeit weiterzuführen - Bücher zu schreiben, Führungen zu machen, Menschen zu begeistern. Deshalb sitze ich fast täglich vor der Basilika. Viele kommen zu mir nur, um nach dem Weg zur Toilette zu fragen - aber manche bleiben. Und dann erzähle ich.


Interview: Nikolas Leube




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