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Landwirte: »System fährt uns vor die Wand«

Die Gesellschaft behandle sie nicht besser als »Textilarbeiterinnen in Bangladesch«. So das Fazit des Landesbauernpräsidenten Michael Horper bei einer Pressekonferenz in Sellerich-Hontheim zur Situation der Landwirte. Er forderte von Handel, Gesellschaft und Politik rasche Hilfe und ein Umdenken.

Sellerich-Hontheim. "Es ist himmelschreiend", klagt Landwirt Michael Steils aus Sellerich-Hontheim. Auf seinem Betrieb haben sich mehr als 100 Vertreter von Bauernverband, Politik und Landwirtschaft zu einer Kundgebung über die "unerträgliche Situation" der Bauern versammelt. Michael Steils bewirtschaftet einen Hof mit 160 Milchkühen und 140 Hektar Land. Wie Steils geht es vielen: Sie haben massiv investiert, um ihre Betriebe dem Markt, den Auflagen und dem lautstark beschworenen Tierwohl anzupassen und dennoch "können wir nur mit Hilfe der Banken überleben", sagt Steils. Verantwortlich seien die Tiefpreise des Handels und die Haltung des Verbrauchers, der seine Lebensmittel im Discounter kaufe. "Das System fährt uns vor die Wand", so Landesbauernpräsident Michael Horper. Nur noch zehn Prozent ihres Einkommens würden die Deutschen für Nahrung ausgeben. Und was die Landwirte unisono auf die Palme bringt, ist das "falsche Bild", das die Gesellschaft von ihnen als "Tierquäler" und "Umweltverschmutzer" zeichne. Neben dem "System Discount" sieht Horper die Ursache der Krise im russischen Embargo. Zudem sei der Export nach China eingebrochen. Gleichzeitig habe sich das globale Milchangebot erhöht. Die Situation der Bauern vergleicht er mit "Textilarbeiterinnen in Bangladesch". Horper fordert ein Bündel an Maßnahmen: Die Politik müsse neue Märkte erschließen. Der Interventionspreis und die Interventionsmenge für Milch müssten befristet angehoben werden. Um den Landwirten finanziell Luft zu verschaffen, müssten außerdem die Betriebsprämien (Zuschüsse der EU, sofern Landwirte bestimmte Auflagen einhalten) zwei Monate früher, also schon zum 1. November, überwiesen werden. Und die "Superabgabe", die für überproduzierte Milch an Brüssel gezahlt wird, müsse "zurück nach Deutschland". Zusätzliche notwendige Maßnahmen seien eine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen und die Einführung eines steuerlichen Risikoausgleichs. Die Molkereien seien für die Tiefpreise mitverantwortlich, schimpften aufgebrachte Landwirte. Einige äußerten sich für die Wiedereinführung der Milchquote. Dazu Horper: "Mit einer Quote schaffen wir das in einer globalisierten Welt nicht." Horper weiter: "Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist schon nach zwölf. Viele Betriebe brechen weg." Tausende Arbeitsplätze seien bedroht. Horper ist bereit, auf die Barrikaden zu gehen. Sein Vorschlag: Mehrere Wochen kollektiv einen Discounter bestreiken. bil Fotos: S.Schönhofen


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