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"Denk-Verlust"

Neujahrsempfang der VG Cochem mit beeindruckendem Vortrag von Alt-Abt Benedikt Müntnich.

Es gab keine langen Politikerreden, keine persönliche Begrüßung: Dafür gab es einen hochinteressanten Vortrag von Alt-Abt Benedikt Müntnich. Wenn Bürgermeister Wolfgang Lambertz offiziell zu einer Veranstaltung einlädt, kommt mehr und mehr der neue Politikstil zum Vorschein, den der agile VG-Chef lebt. Weg mit alten Strukturen, langen Reden und einem angestaubten "Protokoll". Kurz und knapp fiel schon die Begrüßung beim Neujahrsempfang im Calmont-Forum im Bremm aus. Kein großer Rückblick auf die "Erfolge" der ersten Monate, dafür viel mehr ein Ausblick und vor allem Dankesworte. Etwa an die Feuerwehren oder die vielen Ehrenamtlichen in der Kommunalpolitik. Als Festredner hatte Lambertz Alt-Abt und "Treiser Jung" Benedikt Müntnich verpflichtet. Und dessen rund halbstündiger Vortrag hatte es in sich. Der Alt-Abt sprach von einem "Verlust des Denkens": "Viele übernehmen weitgehend vorgedachte Meinungen, von ,ihren' Medien vorgedacht. Und in denen kommen Gott und Religion nicht oder verzerrt beziehungsweise in Negativdarstellung vor. Ich wage zu sagen: Weil man zu wenig denkt, glaubt man auch nicht." Ein Lob gab es vom Alt-Abt für die Ortsgemeinden und er zitierte dabei Ministerpräsidentin Dreyer: "Die Ortsgemeinden sind für uns Keimzellen des Ehrenamts und der Bürgernähe. Hier sind unsere Kümmerer vor Ort. Das ist bedenkenswert, meine ich", so Müntnich. Den ganzen Vortrag des Alt-Abts finden Sie nachfolgend. Vortrag des Alt-Abts Benedikt Müntnich: "Die Kirche im Dorf lassen. Was ein Gemeinwesen zusammenhält" Die Kirche im Dorf lassen ist eine sprichwörtliche Redensart im Sinne von: Jetzt lass mal, übertreib mal nicht! Dahinter mag die alte Auffassung stehen, dass die Kirche - das Kirchengebäude - zum Dorf gehört, nicht nur als Bestandteil, sondern ganz zentral. Sie gibt dem Dorf erst sein Gesicht, und seine Identität. Schauen wir uns unsere Dörfer an, hier an der Mosel, in der Eifel und im Hunsrück. Denken wir uns die Kirche einmal weg. Da fehlt dann wirklich etwas. Fehlt nicht das Wichtigste, das, was ein Dorf erst Dorf sein lässt? Ein fest gefügtes Ganzes, in dem alles seinen Platz hat - eben vom Mittelpunkt, von der Kirche her. "Kirche" meine ich jetzt nicht katholisch oder evangelisch, womöglich noch in Absetzung von anderen Religionen, nein. Ich verwende den Begriff jetzt im Sinne von Identität. Damit befinden wir uns mitten in einem großen Problem unserer Zeit: Wie sieht es aus mit unserer Identität? Können wir, wie man so sagt, multikulti leben? Können wir beliebig leben, d.h. ohne uns irgendwie festzulegen? Das ist ein Problem in unserem Europa, in seinen Ländern, hier bei uns und schließlich in den kleinsten Einheiten, unseren Dörfern. Was ist Identität? Ich versuche es zu umschreiben. Sie ist etwas Vorgegebenes und bedeutet dann: wissen, wer ich bin; wo ich herkomme, d.h. wo meine Wurzeln sind; wer zu mir gehört und mit wem zusammen ich etwas erreichen will - und natürlich dann der Versuch einer entsprechenden Realisierung des Genannten. Unsere Identität ist christlich-jüdisch. Das ist einfach so, eine Tatsache. Wir sind Teil des christlichen Abendlandes - wobei sich da derzeit massiv etwas verändert - im Sinne eines Identitätsverlustes oder einer Neufindung oder Wiedergewinnung? Verlust allein wäre tragisch. Europa ist alt und müde geworden, es knirscht irgendwie in den Fugen. Europa ist auch schwach - an Überzeugung und ethisch-moralisch. Aus Toleranz - es gab sie bei weitem nicht immer, aber doch immer wieder; Zeiten, in denen Christen, Juden und Muslime miteinander auskamen. Großartig ist der Satz des Erzbischofs von Toledo zum Rabbi in G. v. Le Forts Novelle "Die Tochter Jephtas": Beim Gericht am Jüngsten Tag wird es nicht um die Rechtgläubigkeit gehen, sondern um die Barmherzigkeit - aus Toleranz droht Beliebigkeit zu werden - jeder wie er Lust hat, lustig ist - mit der man auf Dauer nicht wird leben können. Echte Toleranz setzt ja einen Standpunkt voraus, Selbstgewissheit, auch gesundes Selbstbewusstsein und Maßstäbe. Vor einigen Jahren sagte Frau Sayeeda Warsi, Ministerin im Kabinett Cameron, sie ist Muslima pakistanischer Herkunft, Europa müsse sich seines Christentums wieder sicherer werden; der Glaube müsse einen Ort in der Öffentlichkeit haben; damit der Friede in der Gesellschaft gefördert werde, müssten die Menschen sich ihrer religiösen Identität sicherer werden, überzeugter in ihrem Glauben; der einzige Weg zur Annahme anderer sei die Sicherheit der eigenen Identität; schließlich: Glaube gebe der Gesellschaft Stärke. Alles in allem: Die Nationen Europas dürften ihr religiöses Erbe nicht verleugnen. Europa basiert auf der Bibel. Nehmen wir die Zehn Gebote. Sie sind eine Charta echter Menschlichkeit, eine unschätzbare Lebenshilfe. Sie würden ein gerechtes und friedvolles Zusammenleben aller ermöglichen. Oder Dostojewskijs Satz: "Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt." Darüber lohnt es sich nachzudenken. Noch eine Aussage des französischen Schriftstellers Michel Houellebecqs - in seinem neuesten Roman "Serotonin" rechnet er mit dem Liberalismus ab und prophezeit, das Abendland sei nicht mehr zu retten - er sagte im "Spiegel": "Die Religion hat eine Schlüsselfunktion in der Gesellschaft und für deren Zusammenhalt. Sie ist ein Motor der Gemeinschaftsbildung." Um nicht falsch verstanden zu werden: Es kann nicht darum gehen, das Rad zurückzudrehen und sog. gute alte Zeiten wieder heraufzubeschwören - die waren gar nicht so gut. Religiosität war oft genug pure Konvention und Mitlaufen, das wissen wir. Es geht vielmehr um die Einsicht, dass ein Gemeinwesen, eine Gesellschaft und eine Kultur keine Zukunft haben kann, wenn sie ihre Quelle versiegen lässt. In dem Sinne kämpfte vor Jahren Papst Johannes Paul II. mit aller Kraft für einen Gottesbezug in der europäischen Verfassung - vergeblich. Natürlich ist Religion Privatsache - und doch auch wieder nicht. Die Wurzeln eines jeden Gemeinwesens liegen in der Religion. Nehmen Sie die uralten Kulturen und Gesellschaftsordnungen in China, Japan, Indien, in den buddhistischen Ländern, die arabische Welt; dahinter stehen immer die Religionen. Das zeigt doch: Der Mensch kann ohne Religion nicht leben oder zumindest nicht gut leben. Es gab seriöse Umfragen, die zeigen, dass Menschen mit einer Glaubensüberzeugung leichter, froher, natürlicher leben. Dieser Tage (4.1.2019) war in der Rhein-Zeitung zu lesen, dass lt. einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung die Menschen zufriedener leben, die religiös sind und die sich für ihre Mitmenschen einsetzen. Offenbar sind wir Menschen so angelegt, dass wir eine tiefere Motivation für unser Leben brauchen, eine Überzeugung. Man kann nicht einfach nur so leben, das wäre ein Dahinleben, ein Leben auf Sparflammenniveau. In seinem berühmten "Brief an einen General", 1943, schrieb Antoine de Saint-Exupéry, man müsse den Menschen nach der Katastrophe des Krieges unbedingt einen geistigen Sinn wiedergeben. Genau das ist es: Der Mensch braucht mehr als "Brot und Spiele". Noch einmal Exupéry: "Es gilt wieder zu entdecken, dass es ein Leben des Geistes gibt, das noch höher steht als das Leben der Vernunft und das allein den Menschen zu befriedigen vermag." Und, recht verstanden: Gott ist zuerst "Gefühl", er wird "gefühlt" und dieses Gefühl braucht der Mensch, um leben zu können. Lassen Sie einmal diese Sätze der Bibel auf sich wirken: "Gott ist Liebe." Und: "Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es." Mit solchen Worten lässt sich leben. Was ich hier kurz skizziert habe, sehr unvollkommen, ist eine Wahrnehmung, allerdings nicht nur meine; sie ist, denke ich, nicht einfach von der Hand zu weisen. Sie fordert heraus. Was spielt noch eine Rolle? Der Verlust des Denkens. Viele übernehmen weitgehend vorgedachte Meinungen, von "ihren" Medien vorgedacht. Und in denen kommen Gott und Religion nicht oder verzerrt bzw. in Negativdarstellung vor. Ich wage zu sagen: Weil man zu wenig denkt, glaubt man auch nicht. Ein Beispiel: Die RZ hatte eine Aktion gestartet "Kinder malen Weihnachten", eine gute Idee und eine schöne Sache. In der Weihnachtsbeilage wurden die Bilder der Kinder dann präsentiert, wirklich schöne, phantasievolle Bilder mit einem oft tiefen Erlebnishintergrund. Aber nur verschwindend wenige Bilder, ich habe aus einer großen Menge drei gezählt, stellen das christliche Weihnachtsgeheimnis tatsächlich dar: die Geburt des göttlichen Kindes im Stall von Betlehem. Den Kindern darf man natürlich keinen Vorwurf machen. Aber warum wird ihnen nicht die Wahrheit vermittelt? Wie kann es zu einer solchen Reduktion kommen? Wissen wir nicht mehr, was Weihnachten ist? Wie gesagt, das ist nur eine sehr unvollkommene Skizze der Situation; lassen wir es dabei bewenden. Aber eine wichtige Frage ist dann doch: Was wäre zu tun? Ein Rezept habe ich nicht, das wird es auch nicht geben, nur einige Anregungen - vor dem Hintergrund "Kirche im Dorf" und der Religion Christentum, "die die Welt verändert hat", so der Titel des von Spiegel-Autoren verfassten Sammelbandes über das Christentum (2018). Die erste: Lasst uns das Denken wieder lernen! Das selbständige Denken, und damit verbunden das offene Gespräch, über die wirklich wesentlichen Fragen des Lebens, die da sind: das Leben - das Sterben - Gott. Ohne das Nachdenken und Sprechen über diese Themen können wir nicht wirklich Mensch sein. Dann die Wiedergewinnung der Werte, der echten Lebens-Werte, die unser Leben erst lebens-wert machen; erstaunlicherweise spielen beim Umfragen unter Jugendlichen eine ganz große Rolle: Vertrauen, Verlässlichkeit, Menschlichkeit, Freundschaft, Liebe, Treue ... Nur ein Anstoß zum selber Weiterdenken. Die Pflege dessen, was schön ist, im tiefen Sinne schön: die menschliche Seele, die menschlichen Beziehungen, die Natur, die Kunst, die Schönheit unserer gewachsenen Dörfer ... und nicht zuletzt: die Schönheit des christlichen Glaubens. Das Mitarbeiten an der einen Welt. Die Migration - so gab es sie noch nie - fordert uns heraus, auch und gerade in unseren kleinen Lebensräumen. Wenn man durch unsere Dörfer geht, sieht man sie überall: die Flüchtlinge, die eine neue Heimat suchen. Ein komplexes Problem. Damit hängt zusammen ein wiedererwachender Nationalismus, auch Ablehnung und Fremdenhass. Die jüdisch-christliche Religion steht für etwas Anderes ein: Israel war fremd in Ägypten, Jesus, kaum geboren, musste fliehen. Das verpflichtet uns heute. Ich bin mir sicher: Unsere Welt hat nur Zukunft, wenn sie zu einer zusammenfindet. Das allein ist schon ein Riesenprogramm. Aber da ist noch etwas. Da geht etwas um, das man Fusion nennt, bereits geschehen oder als Planung. Kürzlich stand in der Zeitung ein Artikel mit der Überschrift: "Rheinland-Pfalz soll sich ändern"; darin wird die Fusion von Kreisen und Ländern gefordert, auch kleine Ortsgemeinden sollten auf den Prüfstand gestellt werden, und zwar aus rein ökonomischen Gründen. Ich bin kein Fachmann, weder der Politik noch der Wirtschaft. Aber ehrlich gesagt: Was Ministerpräsidentin Malu Dreyer vor einigen Wochen äußerte, klingt für mich plausibler und zukunftsweisender. Die Ortsgemeinden, sagte sie, sind "für uns die Keimzellen des Ehrenamts und der Bürgernähe. Hier sind unsere Kümmerer vor Ort." Das ist bedenkenswert, meine ich. Zu guter Letzt: Ich empfehle Ihnen das "Vater unser", als Gebet natürlich und regelmäßig. Es stammt von Jesus. Darin ist alles enthalten, was wir Menschen brauchen. Papst Johannes XXIII. empfahl, "auf der Höhe des Vaterunsers" zu leben, d.h. unter den Augen eines gütigen Gottes, den wir aber als Vater nur gemeinsam - Vater unser - haben können.


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