Erwachen aus einer totalen Gemeinschaft

»Kinder erreicht man am Besten, wenn man sie mit dem Schicksal Gleichaltriger konfrontiert.« Rainer Hülsheger möchte aufklären, sensibiliseren und aufrütteln, dass Methoden des nationalsozialistischen Regimes auch heute noch missbraucht werden können.
Rainer Hülsheger (r.) ging den Erziehungs- und Unterrichts-praktiken in den Adolf-Hitler-Schulen, die es von 1942 bis 1944 auch in Vogelsang gab, kritisch auf die Spur und macht sie im Vergleich zur Gegenwart anschaulich. Stefan Wunsch (l.)wird diesen Teil nationalsozialistischer Erziehungskonzeption in künftige Dauerausstellungen integrieren.

Rainer Hülsheger (r.) ging den Erziehungs- und Unterrichts-praktiken in den Adolf-Hitler-Schulen, die es von 1942 bis 1944 auch in Vogelsang gab, kritisch auf die Spur und macht sie im Vergleich zur Gegenwart anschaulich. Stefan Wunsch (l.)wird diesen Teil nationalsozialistischer Erziehungskonzeption in künftige Dauerausstellungen integrieren.

Dafür hat der Historiker, Autor und Vogelsang-Referent aus Rott ein Buch verfasst, dass sich mit der »Suggestion eines Elitebewusstseins« befasst. An den so genannten »Adolf-Hitler-Schulen« (AHS), wie es sie von Mai 1942 bis September 1944 auch in Vogelsang gab, wurden »Führung und Gefolgschaft, Rassebewusstsein, Arbeits- und Bewährungseinsätze« gelehrt. »Du darfst nicht lügen«, sei ein prägendes Gebot jener Zeit, das aufzeigt, dass den 12- bis 18-Jährigen keinerlei Entzugsmöglichkeit blieb, stellt Rainer Hülsheger klar. Aus ihrem Kreis sollte die künftige politische Führung der NSDAP hervorgehen. Die Studie Hülshegers beleucht nicht nur die Erziehungs- und Unterrichtspraxis der AHS, sondern beinhaltet auch individuelle Erfahrungen der Schüler selbst - so wird die Praxis von einst erlebbar. »Es sollte ein elitäres, rassistisches Herrenmenschenbewusstsein geprägt werden«, erklärt Stefan Wunsch, Wissenschaftlicher Leiter der Aademie Vogelsang IP/NS-Dokumentation Vogelsang. »Das Glück dieser Generation war, dass 1945 der NS-Terror endete«, erklärt Hülsheger, der sich viele Jahre mit AHS, Schüler und Erziehern auseinander gesetzt hat. »Das Ende des NS-Systems glich dem Verlust eines geschlossenen Biotops, in dem die Adolf-Hitler-Schüler gelebt und über dessen Rand sie nie hinausgeschaut haben«, so der Historiker. Es zerfiel eine »Wirklichkeit«, die ihr Leben bestimmt hatte.
»Auch heute gilt es kritisch zu hinterfragen, ob manche Methodik der damaligen Zeit noch missbräuchliche Verwendung findet«, mahnt der pensionierte Lehrer. Nicht zuletzt widmet sich Hülsheger der Frage, wie es diesen jungen Menschen gelungen ist, nach einer schwierigen, für sie schmerzhaften Übergangsphase ihren Platz in einer demokratischen Gesellschaft zu finden. »Das ist den AH-Schülern besser gelungen als etwa den Ordensjunkern, die damals etwa 10 Jahre älter waren und in großer Zahl der NS-Ideologie ein Leben lang nachgetrauert haben.« Das im Beltz Juventa Verlag erschienene, reich bebilderte und 260 Seiten starke Werk »Die Adolf-Hitler-Schulen 1937-1945. Suggestion eines Elitebewusstseins« ist im Buchhandel erhältlich.


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