Frederik Scholl

Geflüchtete setzen ein »glänzendes Zeichen«

Euskirchen. Geflüchtete aus arabischen und afrikanischen Ländern und der Ukraine reinigten Euskirchener Stolpersteine.
Teamarbeit für ein glänzendes Zeichen: Im Beisein von DRK-Mitarbeiterin Judith Raß polieren Jamir Alhamad (v.l.), Mohammad Nour Alhussein, Abdullah Anaasan und Thankgod Uchendu die Stolpersteine, die an das Schicksal von Ottilie und Arthur Rückert erinnern.

Teamarbeit für ein glänzendes Zeichen: Im Beisein von DRK-Mitarbeiterin Judith Raß polieren Jamir Alhamad (v.l.), Mohammad Nour Alhussein, Abdullah Anaasan und Thankgod Uchendu die Stolpersteine, die an das Schicksal von Ottilie und Arthur Rückert erinnern.

Bild: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress

Über den Stolpersteinen in der Euskirchener Bendenstraße knien Abdullah Anaasan, Mohammad Nour Alhussein, Jamir Alhamad und Thankgod Uchendu. Dass sie dort knien und die Steine reinigen, die an Ottilie und Arthur Rückert sowie an Anton Liebertz erinnern, ist beileibe nicht selbstverständlich. Erst an diesem Vormittag haben sie von der Bedeutung der Stolpersteine und der Geschichte dahinter erfahren. Sichtlich ergriffen und mit großem Elan reinigen die Geflüchteten aus Syrien und Nigeria die Steine.

Auch die Messingplatten, die in der Kommerner Straße an die jüdischen Familien Horn, Mainzer und Seligmann erinnern, werden an diesem Vormittag von Geflüchteten aus der Ukraine, aus Afrika und aus arabischen Ländern wieder auf Hochglanz poliert. Insbesondere angesichts des Nahost-Konflikts ist das ein glänzendes Zeichen der Völkerverständigung und für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen – egal welcher Hautfarbe, welcher Religion, Kultur oder Herkunft.

Dass dieses Zeichen möglich wurde, ist einer Zusammenarbeit der Integrationsagentur und der Servicestelle Antidiskriminierungsarbeit des DRK Kreisverbandes Euskirchen, des Kommunalen Integrationszentrums Kreis Euskirchen und von Vogelsang IP zu verdanken. »Wir haben die Veranstaltung ‚Stolpersteine putzen gegen das Vergessen‘ bereits in diesem Spätsommer, weit vor dem Beginn des aktuellen Nahost-Konflikts, geplant. Es ist eine Bildungs- und Informationsveranstaltung zum Erinnerungstag an die Reichspogromnacht, deren Schrecken sich in diesem Jahr zum 85. Mal jähren«, berichtet Thomas Weber von der Integrationsagentur des DRK Euskirchen.

Die Workshops im DRK-Mehrgenerationenhaus thematisierten Antisemitismus und informierten über die Geschichte Deutschlands während der NS-Zeit und über die Gräuel des Nazi-Regimes.

Mit Brigitte Jansen, Hassan Hasno, Cedric Morgenstern und Thomas Willems waren dafür kompetente Referenten zugegen. Alle vier waren beeindruckt von der Wissbegierde der rund 45 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Diese hatten mitunter auch schwierige Fragen an die Referenten. »Wie konnte die deutsche Gesellschaft so etwas zulassen?«, wollten die Teilnehmenden laut Thomas Willems wissen. Der musste schon zu einer komplexen Antwort ausholen – von Polizeigesetzen, über Mitläufer und die gesamtgesellschaftliche Lage bis hin zu Repressalien und natürlich willfährigen Profiteuren. Gar nicht so leicht bei gewissen Sprachbarrieren, die aber mit Hilfe von Übersetzern ins Arabische, Kurdische, Englische, Französische und Ukrainische überwunden werden konnten.

Nach den Workshops ging es schließlich aufgeteilt in verschiedene Gruppen raus, um die Stolpersteine zu reinigen. Roland Kuhlen vom Kommunalen Integrationszentrum des Kreises Euskirchen hatte zu allen Schicksalen Informationen recherchiert. Zum Beispiel, dass am Tag nach der Pogromnacht, am 10. November, das Haus und das auf dem Annaturmplatz parkende Auto der Familie Horn angezündet wurde. Die Familie hatte in der Kommerner Straße ein Möbel- und Warenhaus betrieben.

Den Stolpersteinen hat Roland Kuhlen mit Bildern der Opfer ein Gesicht gegeben, während die Messingtafel in Erinnerung an die Familie Mainzer von zugewanderten Menschen poliert werden. Foto: Roland Kuhlen/pp/Agentur ProfiPress

Oder Informationen über Hugo und Sibilla Mainzer, die im Juli 1942 mit den Söhnen Kurt und Gerd nach Minsk deportiert und später für tot erklärt wurden. Roland Kuhlen hatte auch Bilder der Opfer ausgedruckt, »damit die Steine ein Gesicht bekommen«. So wurde auch das Gedenken an die Familie Seligmann aus der Kommerner Straße 64 zu einem bewegenden Ereignis.

Nur 15 Jahre alt

Ebenso ergriffen waren die Teilnehmer einer weiteren Gruppe von den Schicksalen der NS-Opfer aus der Bendenstraße. Anton Liebertz wurde nur 15 Jahre alt, ermordet in einer Heilanstalt im oberösterreichischen Linz – wegen seiner Behinderung. Für psychisch krank erklärt und ermordet wurde sein Nachbar Otto Rückert, weil er als Zeuge Jehovas nur Gott und nicht den Führer als oberste Autorität akzeptieren wollte. Das war 1940 nach etlichen Jahren der Unterbringung in diversen, sogenannten Heilanstalten. Ein Jahr zuvor war seine Frau Ottilie, verarmt und erkrankt, mit 44 Jahren an Lungentuberkulose gestorben.

Allesamt schreckliche Schicksale. Mit den Stolpersteinen wird daran erinnert. Sie tragen dazu bei, dass vergangene Gräueltaten nicht vergessen werden, in der Hoffnung, dass so etwas nie wieder passiert. Bei Abdullah Anaasan, Mohammad Nour Alhussein, Jamir Alhamad, Thankgod Uchendu konnte man spüren und sehen, dass diese Exkursion etwas in ihnen bewegt hat. Sie und die anderen Teilnehmer haben jedenfalls einen wertvollen Beitrag dazu geleistet, dass die polierten Stolpersteine nun auch wieder glänzende Symbole gegen das Vergessen und für ein friedliches Miteinander sind.

Daher konnte DRK-Mitarbeiterin Judith Raß beim abschließenden gemeinsamen Mittagessen auch aus voller Überzeugung festhalten: »Das war eine richtig gelungene Veranstaltung. Ich bin total stolz auf alle Beteiligten und darauf, dass wir gemeinsam dieses wichtige Zeichen setzen konnten.«


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