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Wenn der Säugling zum Schreihals wird ...

»Ach, wie süß!« Die Verzückung beim Anblick eines kleinen Erdenbürgers ist oft groß. Frischgebackene Eltern allerdings wissen, dass die Säuglinge auch über ein sehr kräftiges Stimmorgan verfügen, das sie lautstark und andauernd einsetzen können. Sind die Kleinen satt und trockengelegt, kehrt meist wieder Ruhe ein - was bei Schreibabys aber leider nicht der Fall ist. Sie schreien lang anhaltend und lautstark, oft mehr als drei Stunden am Tag, haben Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen und zeigen Probleme beim Trinken und Essen. Eltern mit einem Schreibaby können Gefahr laufen, in eine Art Teufelskreis zu geraten, so die Familientherapeutin Cornelia Tünnerhoff-Kolbitz. Oft übertrage sich die Nervösität der Eltern zusätzlich auf das Baby und trage so zu einer Verschlimmerung der Situation bei. Verzweifeln müssen betroffene Eltern allerdings nicht, denn für sie gibt es Hilfe. Im Sozialpädiatrischen Zentrum Mechernich (SPZ) gibt es eine Babysprechstunde, in der sich ein ganzes Team aus verschiedenen Fachrichtungen um Schreibabys und ihre Eltern kümmert. »Die Ursachen und die Behandlung der Kinder und Familien ist nämlich so individuell wie die Babys und ihre Eltern selbst«, weiß die Kinderärztin Dr. Waltraud Stening-Belz, die ebenso wie Cornelia Tünnerhoff-Kolbitz, die Psychologin Naima Fest und die Physiotherapeutin Petra Spickermann-Bädorf, zudem MarteMeo-Trainerin, zum Team gehört. Der richtige Umgang Das Team wird tätig, wenn eine Überweisung vom behandelnden Kinderarzt ausgestellt wird. Die Praxis hat sich bewährt, weil er zuvor meist körperliche Probleme ausschließen konnte. »Dann«, so die Oberärztin Waltraud Stening-Belz, »erhalten die Betroffenen zügig einen Termin.« Meist kann sehr schnell geholfen werden, oft reichen zwei bis drei Termine aus, um Ruhe einkehren zu lassen. »Wir bemühen uns«, sagt Petra Spickermann-Bädorf, »den Eltern den Umgang mit ihrem Säugling näher zu bringen. Dazu gehören Feinfühligkeit, die richtigen Reaktionen auf das Verhalten des Kindes und auch eine liebevolle, aber konsequente Erziehung mit festen Regeln.« Marte Meo Ein wichtiges Instrument ist dabei MarteMeo. Mit Video wird das Verhalten zwischen Eltern und Kind aufgezeichnet. Petra Spickermann-Bädorf: »Dadurch erkennen wir schnell die Fehler, die gemacht werden.« Viel wichtiger ist allerdings, dass so auch deutlich wird, was Mutter und Vater richtig machen. »Und genau da setzen wir dann an«, so die Physiotherapeutin. Dieses positive Handeln werde verstärkt. Waltraud Stening-Belz stuft die Arbeit des Teams auch als wichtige Prävention ein: »Die Bindung, die in den ersten Lebensjahren aufgebaut wird, hält ein Leben lang.« Es gibt aber auch schwerwiegendere Fälle, etwa nach einer traumatischen Entbindung oder bei einer Depression der Mutter. »Da können wir auf ein wirklich tolles, Familien unterstützendes Netzwerk im Kreis Euskirchen zurückgreifen und den Eltern weitere effektive Hilfe vermitteln«, so Dr. Stephanie Zippel. Ein wenig Statistik In einer deutschen Stichprobe (Wurmser 2001) wurde festgestellt, dass bei etwa 20 Prozent der Kinder ein exzessives Schreien oder Quengeln von mehr als drei Stunden pro Tag in den ersten drei Lebensmonaten stattfindet. Nach den ersten drei Monaten waren es etwa acht Prozent. Waltraud Stening-Belz hat festgestellt: »Die Babys in unserer Schreibabysprechstunde sind meist älter als 3 Monate.« Bis zu diesem Alter würden die Unruhezustände häufig als »Dreimonatskoliken« bewertet. Nach dem dritten Lebensmonat nehme die Toleranz, das Schreien zu akzeptieren, scheinbar ab, wie auch die Hoffnung, dass sich das Schreien von alleine legt. Dann suchten sich die Eltern Beratung und Hilfe.


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