»Langfristige Visionen entwickeln«
Herr Schneider, wie ist der Handel und die Industrie durch die vergangenen Pandemiejahre gekommen?
Die Corona-Krise hat die Wirtschaft im Hunsrück in den letzten zwei Jahren unterschiedlich stark getroffen. Profiteure waren etwa IT-Dienstleister, die in Zeiten der notwendigen Digitalisierung überdurchschnittlich gefragt waren. Robust zeigte sich auch die Bauwirtschaft und die meisten der Industriebetriebe, da sie von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kaum beeinträchtigt wurden.
Anders waren die Auswirkungen auf die Dienstleistungs- und Handelsbranche sowie die Gast- und Eventwirtschaft. Durch die behördlichen Schließungen, zusätzlichen Kosten für Hygienemaßnahmen oder auch unterschiedlichen Zugangskriterien sind diese Branchen bis heute stark reglementiert und wirtschaftlich enorm unter Druck.
2021 gab es Lieferengpässe und Preissteigerungen. Wie wirkt sichnun der Ukraine-Krieg darauf aus?
Bereits zu Jahresbeginn berichteten mehr als dreiviertel der Unternehmen, dass sie mit Lieferschwierigkeiten konfrontiert waren und weiter werden. Insbesondere bei Industrie und Handel sind die Engpässe zu spüren. Damit einhergehend kommt es zu Ertragseinbußen und steigende Preise, längeren Lieferzeiten und einem gestiegenen Planungsaufwand als Folgeeffekt.
Mittlerweile machen sich auch die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine deutlich bemerkbar: Das vor Kurzem eingeführte Importverbot für bestimmte Stahl- und Eisenerzeugnisse aus Russland führt zu Lieferengpässen, denn rund 30 Prozent des Baustahls kommt aus Russland, der Ukraine und Weißrussland. Bereits jetzt ist ein bemerkbarer Anstieg der Preise bei Stahl und dem vor allem im Straßenbau notwendigen Bitumen erkennbar. Gleiches gilt für Speiseöle und Eiweißfutter. Ein weiteres Problem für die Betriebe liegt im Transport selbst, da frühere internationale Transportwege etwa über Weißrussland und Polen sowie der Flugverkehr eingeschränkt sind. Das führt zu Zeitverzögerungen und Verteuerungen der Transportkosten.
Durch den Krieg sind die Öl-, Gas- und Energiepreise explodiert. Was bedeutet das für Unternehmen?
Wir stehen im engen Austausch mit den Unternehmen hier im Hunsrück, die Geschäfte in Russland oder in der Ukraine machen. Die Gespräche zeigen, dass das Verständnis bei Unternehmen groß ist für die Sanktionen, auch wenn sie dadurch Einschränkungen erfahren. Das belegt auch unsere aktuelle Blitzumfrage, in der 89 Prozent der befragten Unternehmen in Rheinland-Pfalz die Sanktionen akzeptieren. Vielmehr erleben wir aktuell eine große Solidarität und Hilfsbereitschaft seitens der Unternehmen.
Trotz aller Solidarität blickt die Wirtschaft mit Sorge auf die Verfügbarkeit und die Preisentwicklung bei Erdgas, Erdöl und Strom. Nicht nur »große« Unternehmen aus den Branchen Chemie, Maschinenbau und Kunststoffindustrie sind betroffen, sondern auch kleine Unternehmen, Speditionen oder Busunternehmen. Durch den starken Preisanstieg innerhalb einer so kurzen Zeit ist das Gegensteuern schwierig und es wird zu kurzfristigen Liquiditäts- und langfristigen Ertragsproblemen kommen.
So droht die aktuelle Preisentwicklung bei der Weitergabe an den Endverbraucher auch die Konsumlaune zu dämpfen.
Muss die Politik die Wirtschaft hier mehr unterstützen?
Mehr Unterstützung wäre sicher wünschenswert. Schon vor dem Krieg in der Ukraine waren die Energiekosten in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr hoch, dies ist schlecht für die Wettbewerbsfähigkeit und bindet Kapital, das man ansonsten für andere Dinge (zum Beispiel Innovation) ausgeben könnte.
Aktuell schauen viele etwas düsterer in die Zukunft. Sehen Sie trotzdem einen Silberstreif am Horizont?
Die Corona-Pandemie und der Krieg haben gemeinsam, dass sie mit großen Unsicherheiten behaftet sind und dadurch die Entwicklungs- und Innovationsbereitschaft hemmen. Gerade jetzt gilt es aber aus meiner Sicht den Blick in die Zukunft zu richten, nach kreativen Lösungen zu schauen und langfristige Visionen und Pläne zu entwickeln. Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern, Partnern und auch Kunden Mut machen und Orientierung geben, um gemeinsam durch diese unruhigen Zeiten zu kommen.