Wie gelingt lebendiges Erinnern an jüdisches Leben?
Nach dem Auftakt der Gedenkstättenreisen im März vergangenen Jahres setzte der Landtag damit seinen Austausch an historischen Orten mit unterschiedlichen Expertinnen und Experten sowie regionalen Projekten in Rheinland-Pfalz fort. Ziele des Themenschwerpunkts des Landtags sind, neue Formen des Gedenkens an die Opfer der NS-Diktatur zu entwickeln, die Erinnerungskultur stärker zu regionalisieren und wahrnehmbarer zu vermitteln, dass Verfolgung, Diskriminierung und Vertreibung von Juden auch im eigenen Heimatort stattfanden. Zugleich geht es aber auch darum, auf die vielfältigen kulturellen Spuren und Schätze jüdischen Lebens in der Region aufmerksam zu machen.
Auf dem Programm der zweiten Gedenkstättenreise am 9. März stand der Besuch der beiden ehemaligen Synagogen in Laufersweiler und Niederzissen. „Wichtig ist uns hierbei, besondere Projekte der Gedenkarbeit in den Regionen kennenzulernen, sie zu unterstützen und zu deren Vernetzung beizutragen“, sagte Landtagspräsident Hendrik Hering. Von besonderer Bedeutung sei dabei auch, neue und zeitgemäße Formen des Erinnerns und Gedenkens zu finden für eine Zeit, für die es bald keine Zeitzeugen mehr gebe. Einige erfolgreiche Projekte lernte die Delegation, zu der auch Landtags-Vizepräsidentin Astrid Schmitt und die Direktorin beim Landtag, Ursula Molka, zählte, in Laufersweiler kennen. Dazu zählt beispielsweise das Projekt „Sprachbot“ des deutschen Exilarchivs in Kooperation mit der USC Shoah Foundation, durch das die Erinnerung eines Überlebenden des südfranzösischen Internierungslagers Gurs digital zugänglich gemacht wird. Die Künstliche Intelligenz hat auf Grundlage von rund 900 Fragen die Antworten und Erinnerungen des Überlebenden Dr. Kurt S. Maier erfasst.
Ein Schwerpunkt der Bildungsarbeit sowohl in Laufersweiler als auch in Niederzissen ist das Vermitteln eines differenzierten Bildes von Jüdinnen und Juden, die Teil der deutschen Kultur waren und sind sowie die ländlichen Regionen wesentlich mitgeprägt haben. Damit sollen insbesondere Vorurteile aufgebrochen werden. Der regionale Ansatz, das Landjudentum wahrnehmbarer zu gestalten, ist hier von zentraler Bedeutung. Denn, darüber waren sich alle Teilnehmenden der Reise einig, jüdisches Leben in Deutschland bedeute weit mehr als die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus.
Junge Menschen wollen mehr über Vergangenheit wissen
Landtagspräsident Hendrik Hering wies darauf hin, dass aktuelle Studien zeigten, dass den meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen wichtig sei, dass sie neues Faktenwissen über die NS-Zeit lernten, dass sie historische Orte besuchen können und dass in den Bildungsangeboten Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart hergestellt werden. In einem abschließenden Gespräch wurde die Bedeutung des Ehrenamts für die Gedenkarbeit thematisiert sowie die Frage, wie sich die Gedenkarbeit in Laufersweiler und Niederzissen weiter entwickeln könnte und welche Unterstützung hierbei der Landtag leisten kann.
Begleitet wurde die Gedenkstättenreise von der Beauftragten der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen, Monika Fuhr, dem Vorsitzenden der Landesarbeits-gemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz, Franz-Josef Ratter sowie Landtagsabgeordneten und Kommunalpolitiker:innen. Entstanden ist die Idee zur Gedenkstätteneise durch die AG „Zukunft der Gedenkarbeit“ der Landesparlamente, von Bundestag und Bundesrat, die unter der Federführung von Rheinland-Pfalz seit 2019 fast jährlich in Mainz zusammenkommt.