

von Claudia Neumann
Handverlesene Naturprodukte und Deko aus der türkischen Mittelmeerregion: In der Weberbach lädt »Linas Naturmarkt« zu einer kleinen Reise Richtung Süden ein. Dunkles Holz, Olivenbäume und sonniges Gelb an den Wänden schaffen eine warme Atmosphäre, in der es nach Gewürzen duftet. Güllü Temizsoy serviert dampfenden Tee in orientalischen Tassen, dunkelrot und samtig. »Wie wäre es mit Granatapfel – oder Maulbeeren?«, fragt sie. Zwischen Holztruhen, getrockneten Kräutern und Olivenöl gibt es eine gemütliche Sitzecke. Hier wird schnell spürbar: Dieser Ort ist mehr als ein Laden.
Güllü Temizsoy lebt seit vielen Jahren in Trier, ist Mutter einer Tochter im Kindergartenalter und arbeitet beim Jobcenter. Zudem ist sie Vorsitzende des Trierer Migrationsbeirates und engagiert sich besonders für Sprachförderung bei Vorschulkindern. Integration beginne mit Sprache, sagt sie. Ihr Alltag ist bereits ausgefüllt, ihre Aufgaben sind vielfältig. Wie kam sie also auf die Idee, zusätzlich einen Laden mit türkischen Spezialitäten zu eröffnen?
Der Anstoß lag weit entfernt, in ihrer Heimat. Temizsoy stammt aus Kahramanmaras, einer Stadt im türkischen Erdbebengebiet. Als im Februar 2023 ein Erdbeben der Stärke 7,8 die Türkei und Syrien erschütterte, starben mehr als 62 000 Menschen. »80 Prozent der Stadt sind einfach weg«, erzählt sie, Tränen in den Augen. Für sie und ihren Mann Mehmet Kirisikoglu stand sofort fest: Wir müssen helfen. Direkt nach dem Beben sammelten sie mit Unterstützung des Trierer Jobcenters Sachspenden, organisierten zwei Lkw und flogen selbst in die Türkei. Von Geldspenden wurden später Container finanziert, in denen noch heute Menschen leben. Viele sind weiterhin auf Zelte angewiesen. »Diese Hilflosigkeit und Perspektivlosigkeit – die Leute dort wussten einfach nicht, wie es weitergehen soll«, sagt Temizsoy.
Die Frage, wie Hilfe langfristig und nachhaltig wirken kann, führte schließlich zu »Linas Naturmarkt«. Die Idee: Produkte verkaufen, die Menschen im Erdbebengebiet selbst herstellen, damit sie ein eigenes Einkommen und neue Perspektiven erhalten. Die Suche nach einem geeigneten Raum war zunächst schwierig, bis die Reh-Stiftung als Vermieterin entgegenkam.
Heute können Kundinnen und Kunden in der Weberbach Oliven, Olivenöl, Gewürze, Honig, Tees, süße Leckereien und viele weitere Lebensmittel entdecken. Thymian und Paprika etwa, die Temizsoys Tante sammelt und trocknet. »Solche Lebensmittel bekommt man natürlich auch in türkischen Lebensmittelläden – aber nicht in dieser Qualität«, sagt Temizsoy. Die Bestandteile seien rein natürlich, vieles entstehe in Handarbeit. Viele der Frauen, die diese Produkte herstellen, kennt sie persönlich. »Ich verwende die Produkte auch bei mir zu Hause. Die Frauen machen das alles selbst.«
Zum Sortiment gehören außerdem handgeschnitzte Holztruhen, Mosaikleuchten, handgefertigte Taschen und kleine Dekoartikel. Wenn Temizsoy von dem über 500 Jahre alten Basar ihrer Heimatstadt erzählt, gerät sie ins Schwärmen. Dort gebe es verschiedene »Straßen«, in denen Handwerker ihre Waren herstellen und anbieten. Die Produkte im Laden stammen aus diesen Werkstätten und spiegeln die Handwerkskunst der Region wider. Ausgewählt hat das Ehepaar sie selbst vor Ort. Die Lieferung läuft über einen Zwischenhändler, der die Exportformalitäten übernimmt. Nach Deckung der Kosten wollen sie weiterhin Produkte einkaufen und nach Trier bringen.
Doch Temizsoys Pläne gehen weiter. Für fünf Schülerinnen und Schüler im Erdbebengebiet hat sie bereits Stipendien übernommen und gründet dafür einen Verein. Und auch in Trier möchte sie etwas bewegen: Koch-Abende mit Zutaten aus dem Laden sind geplant. Viele Kundinnen und Kunden hätten bereits begeistert kleine Kostproben probiert, erzählt sie. Künftig sollen sie lernen können, wie man die Gerichte zubereitet. Außerdem denkt sie über Themenabende für Frauen nach, etwa zu Kinder- oder Gesundheitsthemen. Ein Ort zum Netzwerken soll hier entstehen. Ein Laden, der verbindet – Menschen, Geschichten und zwei Welten.
Weitere Informationen unter www.lina-naturmarkt.de
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