Über den Tellerrand geschaut
Rezepte für die Zukunft
Die Welt sieht Harald Rüssel mit seinen Augen, und das scheint seinen Angestellten zu gefallen: Was er einfordert, lebt er vor: Fairness, ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein und vor allem eins: den anständigen Umgang mit den Mitarbeitern. »Dazu gehören auch anständige Entlohnungen«, sagt er und er weiß, dass so mancher das gar nicht gerne hört. Doch der gebürtige Aachener steht dazu, auch wenn er damit schon angeeckt ist. Aber er weiß aus Erfahrung: »Ohne ein gutes Team ist alles nichts. Alles greift ineinander, ist wichtig und muss wertgeschätzt werden.«
Mit Leib und Seele
Dass ein Gastrobetrieb stark von der Persönlichkeit des Inhabers geprägt ist und Selbstständigkeit ein 24/7-Job ist, das hatte Harald Rüssel schon als Kind erfahren, besaßen doch die Eltern einen großen Gasthof mit Saalbetrieb, in den er sich gerne eingebracht hatte. »Ich habe das Kochen geliebt«, erinnert er sich im Gespräch mit dem eff-Magazin und verschweigt auch nicht, dass er mit der Köchin des Hauses einen Deal hatte: »Sie hat die Hemden gebügelt und ich dafür in der Küche gestanden.«
Dennoch fällt ihm die Berufswahl nicht leicht, denn der musikalisch orientierte junge Mann hat noch ein anderes Hobby, dem sein Herz gehört: Er spielt Schlagzeug, und das auf hohem Niveau. Sein Lehrmeister ist kein Geringerer als Ernst-Wilhelm Hilgers, damals Mitglied der Karajan-Stiftung der Berliner Philharmoniker und Solo-Pauker bei der Württembergischen Philharmonie Reutlingen. Warum er sich dennoch für eine Ausbildung zum Koch entschieden hat? »Da habe ich größere Entwicklungschancen gesehen«, lächelt er vielsagend. Seine Entscheidung soll sich als die richtige herausstellen. Schon in der Lehre krempelt er den elterlichen Betrieb um und bietet Buffets für bis zu 70 Personen an. In Ermangelung eines Kühlraums zeigt er sich erfinderisch und lagert die Speisen kurzerhand auf der Steintreppe.
Der Mensch an erster Stelle
Mit 16 geht’s zum Romantik Hotel »Burgkeller« bei Klaus Mann in die Lehre. Dort macht der ehrgeizige Azubi eine für ihn wichtige Erfahrung: Er braucht Wertschätzung und Anerkennung seiner Leistung. Über den Ablauf bei den Deutschen Meisterschaften und seinen letztendlich »nur« zweiten Platz ärgert er sich so sehr, dass er sich schwört, niemals wieder an einem Wettbewerb teilzunehmen. Auch eine weitere Begebenheit kratzt an seinem Stolz und widerspricht dem gegenseitigen Respekt.
Für ein Vorstellungsgespräch nach der Lehre fährt er mit dem vom Vater geliehenen Auto die ganze Nacht durch. Das Gespräch dauert dann nur fünf Minuten, der Rahmen ist entwürdigend. Seitdem steht sein Entschluss fest: »Wenn mich jemand nicht als Mensch akzeptiert, dann gehe ich da auch nicht mehr hin.« Seine schlechten Erfahrungen macht er im »La Bécasse« in Aachen mehr als wett. Küchenchef Christof Lang ist der Mensch, der sein Leben verändern wird. Ihn nennt Rüssel noch heute seinen »größten Mentor und lebenslangen Freund«. »Seine Art und sein Umgang mit mir hat mich so angefixt, dass ich jeden Tag versucht habe, etwas Kreatives zu schaffen.« Diese Wertschätzung habe ihn durchs ganze Leben begleitet und ihn letztendlich in den ersten 2-Sternehof geführt.
Seine Erfahrungen prägen ihn, lassen aber auch den Wunsch nach etwas Eigenem immer größer werden. Insbesondere der »Scholteshof« in Hasselt, ein Landsitz mit wunderschönem Garten, hat es ihm angetan. »Das wollte ich eines Tages auch haben«, hatte er sich damals fest vorgenommen. Nach etlichen weiteren Stationen hat er schließlich seinen Wunsch realisiert: 1992 lässt er sich mit Ehefrau Ruth, die ihm als Sommelière und Restaurantfachfrau zur Seite steht, in Naurath im Drohntal nieder. Ein Jahr später hat er für »Rüssels Landhaus« schon den ersten Stern erkocht, ist im Gault Millau die »Entdeckung des Jahres« und wird im Feinschmecker zum »Aufsteiger des Jahres« nominiert. Kreativ und modern - so will Harald Rüssel seine »neue deutsche Küche« auf Sterneniveau mit regionalen Produkten verstanden wissen.
Dass auf seiner Speisekarte viel Wild zu finden ist, hat einen Grund. »Bei mir gibt’s kein Fleisch von transportierten, gequälten Tieren«, sagt der passionierte Jäger. »Wir haben regionale und nachhaltige Küche schon gemacht, als es noch nicht modern war.« Zehn Jahre nach der Eröffnung des Gourmet-Restaurants setzt Rüssel das Konzept des Zweitrestaurants um und bietet im »Hasenpfeffer« Landhausgerichte mit Wild aus eigenem Revier an.
Persönliches
Harald Rüssel hat einen Stern im Guide Michelin und 17 Punkte im Gault Millau. Seine Ausbildung hat er bei Klaus Mann im »Romantik- Hotel« Burgkeller in Stolberg absolviert; sein Lehrmeister und Mentor wurde Christof Lang im Aachener »La Becasse«. Weitere Stationen waren »La Bonne Auberge« von Jo und Philippe Rostang im südfranzösischen Antibes, die »Schweizer Stuben« (dort lernte er auch seine spätere Ehefrau Ruth kennen) in Wertheim-Bettingen bei Dieter Müller und Fritz Schilling und das Restaurant »Zur Traube« bei Dieter Kaufmann in Grevenbroich.
Die Jahre 2000 bis 2019 sind geprägt von der Verbandsarbeit. Als Präsident macht er sich für die Mitarbeiter in den Gastronomiebetrieben stark. Gemeinsam mit Dr. Dold gründet er die Eliteklasse, ruft den Patisserie-Wettbewerb und das Meister-Stipendium ins Leben und etabliert den Azubi-Tag. Jetzt ist er Ehrenpräsident der Vereinigung JRE.
Er sagt: »Das Wichtigste ist der Gast. Und wir sind Wunscherfüller. Aber auf Augenhöhe – und dies haben auch alle unsere wunderbaren Mitarbeiter im Service verdient. Das ist uns sehr wichtig!« Ruth und Harald haben eine Tochter und zwei Söhne. Maximilian, der älteste Sohn, arbeitet im Küchenteam von »Rüssels Landhaus«. Beide Söhne sind – genau wie der Vater – ambitionierte Jäger, die gerne Fleisch aus dem eigenen Revier verarbeiten
Weitere Informationen finden Sie unter: www.ruessels-landhaus.de
Fotos im Fließtext: ©landhaus-rüssel