

von Julia Borsch
Dass Verena Hubertz die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf bereits jetzt spürt, zeigt sich an einem frühherbstlichen Samstag in der Trierer Innenstadt. Wenige Schritte von der Porta Nigra entfernt liegt ihr Wahlkreisbüro – modern, lichtdurchflutet, transparent. Der helle Raum wirkt fast wie ein Kontrastprogramm zum oft schweren Ton der Bundespolitik. Hier empfängt die Ministerin an diesem Wochenende zum Interview. Sie wirkt offen, erzählt bereitwillig von Kindheit, Karriere und Herausforderungen. Gleichzeitig lässt sie sich nicht in die Karten schauen – eine Eigenschaft, die in der Spitzenpolitik bestimmt nicht von Nachteil ist. Aufgewachsen in Konz bei Trier, erinnert sich Verena Hubertz an unbeschwerte Nachmittage auf dem Tennisplatz, an Waldspaziergänge und an ein Zuhause, in dem Rollenbilder nicht starr waren. Ihr Vater, ein gelernter Schlosser, blieb nach einer Erkrankung viel zu Hause, während ihre Mutter als studierte Theologin beruflich aktiv war. »Es war also nie dieses klassische ‹Mama ist zu Hause, Papa geht arbeiten›-Modell«, erinnert sich Hubertz. Diese Abwehr von tradierten Rollenbildern prägt bis heute ihr Verständnis von Gleichberechtigung.
Ihr Weg führte sie über die Gründung eines erfolgreichen Start-ups (»Kitchen Stories«) in die Spitzenpolitik. Doch ob in der Gründerszene oder im Bundestag: Frauen sind dort nach wie vor in der Minderheit. Die Skepsis sei oft besonders groß gewesen, wenn Frauen etwas Neues wagten. »Als wir eine Koch- App gegründet haben, hieß es schnell: zwei Frauen und dann noch Essen - was soll das schon bringen?« Ein unterschätzender Blick, den sie später auch in der Politik wiederfand. »Auch der Bundestag wird immer männlicher und älter. Frauen tragen noch nicht 50 Prozent der Verantwortung, obwohl wir die Hälfte der Gesellschaft stellen.« Für Hubertz bedeutet das nicht nur, Hindernisse zu überwinden, sondern auch, Frauen sichtbar zu machen und zu bestärken. Sie verweist auf Zuschriften von Gründerinnen, alleinerziehenden Müttern oder Berufseinsteigerinnen, die ihr Mut machen.
Ihre Botschaft: Es geht nicht darum, sich doppelt zu beweisen, sondern darum, Strukturen so zu verändern, dass Frauen ihre Rollen selbstverständlich ausfüllen können. »Wir müssen dahin kommen, dass es keine Ausnahme mehr ist, wenn Frauen Schlüsselressorts führen.« Mit 38 Jahren ist Hubertz die zweitjüngste Ministerin im Kabinett. Sie ist zudem erst die dritte Ministerin überhaupt, die während ihrer Amtszeit ein Kind bekommt. »Es zeigt, dass es noch nicht selbstverständlich ist, in Führungspositionen Familie und Beruf zu vereinen.« Die Resonanz auf die Verkündung ihrer Schwangerschaft sei überwältigend gewesen: »99 Prozent der Zuschriften waren positiv. Viele Frauen haben mir geschrieben, dass es ihnen Mut macht, weil sie sehen: Es ist machbar. Schwanger im Bundestag ist kein ‹Entweder-oder›, sondern ein ‹Auch›.«
Der Politikalltag allerdings ist alles andere als familienfreundlich. Sitzungswochen enden nicht selten um zwei Uhr nachts, Wochenenden sind voller Termine, Verlässlichkeit ist Mangelware. »Es gibt keinen Mutterschutz für Abgeordnete, keine Elternzeit«, erklärt Hubertz im Gespräch mit dem eff.- Magazin. Für sie bedeutet das, gemeinsam mit ihrem Partner kreative und flexible Lösungen zu finden. »Der Politikalltag ist keiner, der besonders familienfreundlich ist. Aber es ist ein Privileg, dieses Amt ausüben zu dürfen.« Die Herausforderungen, die Hubertz beschreibt, kennt nicht nur die Politik. In vielen Branchen ist Vereinbarkeit noch immer ein Kraftakt. Deswegen wirbt sie für neue Wege: flexible Arbeitszeiten, Jobsharing, Führung in Teilzeit. Ihr Blick geht dabei oft nach Skandinavien, wo es selbstverständlich sei, Kinder am Nachmittag aus der Kita abzuholen. »In Deutschland stößt man häufig auf Unverständnis, wenn man früh geht. Dabei leisten Familien einen unglaublichen Beitrag für die Zukunft unseres Landes.«
Trier und Konz bleiben für die Ministerin ein wichtiger Anker. Nach intensiven Sitzungswochen sind es die Momente im Garten ihrer Eltern oder gemeinsame Essen mit ihrem Bruder, die sie zur Ruhe kommen lassen. »Familie gibt immer sehr viel Kraft und Unterstützung, ob im Wahlkampf oder bei allem anderen.« Gerade in einem Beruf, in dem Verfügbarkeit und Geschwindigkeit dominieren, sind diese Inseln der Normalität für Verena Hubertz entscheidend.
Ein besonderes Leuchten in den Augen bekommt die gebürtige Triererin, wenn sie von einem früheren Karrieremoment erzählt: ihr Praktikum bei den Lebenshilfewerken Trier. Mit gerade einmal 19 Jahren organisierte sie dort einen Guinness-Weltrekordversuch: 1.600 Menschen trommelten damals in Trier gleichzeitig für den guten Zweck. »Es war ein unglaubliches Gefühl, weil mir jemand Verantwortung übertragen hat und ich mit Herzblut etwas bewegen konnte.« Dieses Erlebnis sei prägend gewesen, weil sie gespürt habe, dass ihre Arbeit Sinn ergeben muss. Ein persönlicher Anspruch, der sie bis heute in ihrem geschäftigen Arbeitsalltag begleitet.
Ob als Unternehmensgründerin, Abgeordnete oder Ministerin - Verena Hubertz hat erlebt, wie sehr Vorbilder Orientierung geben können. Nun ist sie selbst ein Vorbild für viele Frauen, die ihren Weg in Beruf und Familie suchen: »Es ist kein Widerspruch, Spitzenpolitik zu gestalten und Mutter zu sein. Es ist ein Spagat - aber einer, den immer mehr Menschen
Verena Hubertz absolvierte ihren Bachelor of Arts in Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Trier und wechselte für den Masterstudiengang an die WHU Vallendar, um an der Hochschule praxisorientierter lernen zu können. Die gebürtige Triererin gründete 2013 gemeinsam mit Mengting Bönsch das Start-Up-Unternehmen »Kitchen Stories«, ein digitales Kochbuch mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen zum Kochen. Im Jahr 2013 folgte schließlich der erfolgreiche Launch der App. »Kitchen Stories« erhielt 2014 die Auszeichnung »App der Woche« und gewann 2017 den »Apple Design-Award«. Heute zählt die App über 22 Millionen Downloads in zehn verfügbaren Sprachen. www.kitchenstories.com


