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Die neue Kapitänin betritt die Brücke

Zum 1. April wird Julia Gieseking die erste Landrätin des Landkreises Vulkaneifel. Mit dem WochenSpiegel hat sie über das neue Amt gesprochen.
Mit Julia Gieseking sitzt ab dem 1. April erstmals eine Frau in der Kreisverwaltung auf dem Chefsessel. Foto: Mager

Mit Julia Gieseking sitzt ab dem 1. April erstmals eine Frau in der Kreisverwaltung auf dem Chefsessel. Foto: Mager

"Die Situation ist für alle Menschen wirklich schwierig und verlangt allen viel ab", sagt Julia Gieseking (SPD). Auf ihren neuen Job, den sie am kommenden Donnerstag antritt, trifft das wohl in besonderem Maße zu. Zum 1. April übernimmt sie als neue Landrätin die Kommandobrücke der Kreisverwaltung - und das in einer Zeit, in der der Lockdown bis Mitte April verlängert wurde, die Akzeptanz der Corona-Regeln in der Bürgerschaft zunehmend schwindet und die Politikverdrossenheit wächst. Ihre Ernennung zur Landrätin, die für Mittwoch im Forum Daun geplant war, wurde abgesagt. Es sei aber sowieso wichtiger, jetzt die große Herausforderung anzugehen, mehr zu impfen. "Das Impfzentrum in Hillesheim ist gut aufgestellt. Aber wir brauchen mehr Impfstoff", sagt Julia Gieseking und nennt weitere Themen ihrer Agenda: Schulen müssten mit Lüftungsanlagen ausgestattet werden. Zudem dürften die Glasfaserkabel nicht vor den Schultüren enden, denn digitaler Unterricht werde später für Kinder in Quarantäne weiterhin eine Rolle spielen, so die dreifache Mutter. Dringend nötig sei eine Wiederbelebung des ausgebremsten Vereins- und Soziallebens. "Es ist schwierig, ein Schiff wieder ans Laufen zu bekommen, wenn es einmal gestoppt wurde", sagt die designierte Kapitänin des Kreises. Und zur Betreuung älterer Menschen könne man das Landesprojekt "Gemeindeschwester plus", das es derzeit nur in der VG Gerolstein gibt, ausweiten. Das Älterwerden der Bevölkerung im Vulkaneifelkreis will Gieseking auch langfristig im Blick haben, zum Beispiel mit neuen Wohnformen und Projekten mit Bürgerbeteiligung. Ebenso legt sie einen Fokus darauf, dem Schwund an Einwohnern entgegenzuwirken. "Wie können wir in Zukunft hier gut arbeiten und leben?", fragt sie. Wichtig sei es dabei, die Jugend ins Boot zu holen und sie zu beteiligen, damit sie hier bleibt oder nach dem Studium zurückkehrt. Die Pandemie habe gezeigt, dass man vieles aus dem Homeoffice erledigen könne. "Dafür müssen wir die Infrastruktur schaffen", sagt Gieseking und nennt als Beispiel den Coworking-Space in Gerolstein. Zudem könne man Arbeit und Tourismus mehr verknüpfen: "Morgens Meeting, mittags Mountainbike." Wichtig sei die Stärkung der ärztlichen Versorgung, sagt die künftige Landrätin. Möglicherweise sei eine Kooperation zwischen den Krankenhäusern in Daun und Gerolstein eine der Optionen. Mit 66,4 Prozent der Stimmen war Julia Giesekings Wahlsieg gegenüber Amtsinhaber Heinz-Peter Thiel (parteilos) deutlich. Was waren die Gründe? Die künftige Landrätin gibt sich in diesem Punkt wortkarg: "Da müssen Sie lieber andere die Wählerinnen und Wähler fragen." Gerechnet habe sie mit einem Sieg in dieser Deutlichkeit nicht. Ob ihr Geschlecht bei der Wahl eine Rolle gespielt hat? "Ich glaube nicht, dass es ausschlaggebend war, aber es war eines der Zeichen für einen 'Gegenentwurf'. Dass ich weiblich bin, hat das unterstützt", vermutet Gieseking. Zur Wahl angetreten sei sie unter anderem, damit mehr Frauen in der Politik vertreten sind. Dazu wolle sie animieren. "Viele Frauen sind ehrenamtlich engagiert. Aber in der Politik sind sie unterrepräsentiert. Das finde ich schade. Und das ist nicht nur in der Politik so", schildert sie Erfahrungen. "Ich denke schon, dass viele Frauen im Kreis jetzt eine Erwartungshaltung an mich haben." Künftig möchte Gieseking mit der neuen Gleichstellungsbeauftragten des Kreises, Doris Sicken, die Vernetzung der Frauen im Kreis vorantreiben - auch um Frauen für die Politik zu gewinnen. "Es müssen generell vielfältige Menschen in der Politik sein. Jeder hat einen anderen Blickwinkel und so kommt man zu besseren Ergebnissen", ist sie überzeugt. Um ihre neue Aufgabe unabhängig angehen zu können, hat sie in der vergangenen Woche ihr Amt als stellvertretende Vorsitzende der Kreis-SPD niedergelegt. "Landrätin" - dieses Wort steht in großen Buchstaben auf mehreren Ordnern in ihrem privaten Dauner Büro. Ende Februar hat Gieseking ihre Anstellung als Architektin bei einem Koblenzer Unternehmen an den Nagel gehängt. Seitdem - und auch schon vorher - bereitet sie sich auf ihr Amt vor. Gespräche mit Amtsinhaber Thiel, dem Büroleiter und Menschen in der Kreisverwaltung gehören ebenso dazu wie ein Seminar. "Am Ende des Tages ist es aber 'Learning by doing'", sagt Gieseking: "Das Schiff 'Kreisverwaltung' hält auch bei einem Kapitänswechsel Kurs, denn es gibt dort viele gute Steuermänner und -frauen." Ihre Erfahrungen als Architektin nutzen ihr auch als Landrätin. Entwürfe zeichnen, technische Voraussetzungen prüfen, Gesetze beachten: "Ich bin als Architektin eine Art Generalistin." Insbesondere die Fähigkeit der Architektin zu moderieren, werde ihr in der Politik zugutekommen. "Als Architekt ist man ein halber Psychologe. Man muss bei den Bauherren vermitteln - die Frau will es so, der Mann anders", erklärt sie. Fachplaner, Handwerker, Behörden - alle müssen unter einen Hut gebracht werden. "Das benötigt viel Fingerspitzengefühl und Kommunikationsfähigkeit."


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