

Jurorin Jasmin Tabatabai hat ihre Wahl getroffen. Als besten modernen Heimatfilm unter den zwölf Wettbewerbsfilmen bei den Heimat Europa Filmfestspielen kürte die Jurorin „In die Sonne schauen“ von der Berliner Regisseurin Mascha Schilinski. Damit hat der Film, der bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes im Mai 2025 uraufgeführt wurde und dort den Preis der Jury erhielt, ein weiteres Mal bei einem Wettbewerb eine Auszeichnung erhalten. Der 1951 eingeführte Preis der Jury in Cannes ist die drittwichtigste Auszeichnung des renommierten Festivals an der Côte d’Azur, nach der Goldenen Palme und dem Großen Preis der Jury. Und jetzt wurde er von German Films, der Auslandsvertretung des deutschen Films, ausgewählt, für Deutschland ins Rennen um die Oscars zu gehen. Die Wahl des deutschen Beitrags ist zwar nur eine von mehreren Vorstufen für die Kategorie der besten internationalen Filme für die Oscar-Verleihung, aber dass „In die Sonne schauen“ nun dafür in der Vorauswahl ist, bedeutet eine Bestätigung der Arbeit von Regisseurin Mascha Schilinski.
Jurorin Jasmin Tabatabai fand den Film „in jeder Hinsicht herausragend“ fand. Sie schwärmte: „Mich hat schon seit Jahren kein deutscher Film mehr so berührt und begeistert. Er ist in jeder Hinsicht hervorragend: Kamera, Tongestaltung, Regie, Ausstattung und die unglaubliche Authentizität – da stimmt einfach alles.“ Ein Teil des Publikums hatte den Film in Simmern nicht so uneingeschränkt positiv aufgenommen, wie die Jurorin, die die Arbeit von Mascha Schilinski als „gewagt, aber zielsicher und geschmackvoll inszeniert“ beschreibt. „Ein gelungenes Wagnis, und wenn der Film einige Leute aufregt, dann heißt das ja auch was.“
„In die Sonne schauen“ erzählt von vier Frauen, die auf einem Hof zu unterschiedlichen Zeiten in Sachsen-Anhalt großwerden, und beleuchtet deren Leben. Alma wächst dort in den 1910er-Jahren heran, Erika in den 1940ern, Angelika erlebt dort ihre Kindheit in den 1980er-Jahren, Nelly wird hier in den 2020er-Jahren groß. Die vier Frauen verbringen ihre Jugend auf dem Hof, und ihre Leben sind miteinander verwoben. Es geht unter anderem um häusliche Gewalt, vererbte Traumata und verdrängte Sehnsüchte. „In die Sonne schauen“ dringt tief in die Gefühlswelt der vier Frauen ein. Der Film startet am 28. August in den deutschen Kinos.
Beim Nachwuchspreis, 2023 von Juror Burghart Klaußner erstmals ausgerufen und persönlich gestiftet, fiel die Wahl von Jasmin Tabatabai auf „Christy“ von Brendan Canty. Der junge Christy wächst in einem Arbeiterviertel in der westirischen Stadt Cork auf und versucht, mit dem Erwachsenwerden klarzukommen. Sein Bruder Shane nimmt ihn bei seiner jungen Familie auf und tut alles dafür, dass Christy nicht auf die schiefe Bahn gerät und der Bruder den Weg in ein geregeltes Leben einschlägt. Der Nachwuchspreis ist mit 1000 Euro dotiert wird seit 2024 vom Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration gestiftet. „Ein Film, der mir mein Herz erwärmt hat“, sagt Jasmin Tabatabai zu ihrer Entscheidung für den Nachwuchspreis. „Unglaublich sauber inszeniert, die Figuren liebevoll entwickelt, tolles Sounddesign und die Mittel des Kinos optimal eingesetzt“, nennt Tabatabai Aspekte ihrer Bewertung des irischen Beitrags.
Für die erstmals bei den Heimat Europa Filmfestspielen eingerichtete Jugendjury, war ein anderer Film Sieger in der Hauptkategorie, des Wettbewerbs um den besten modernen Heimatfilm. Die Wahl der Jugendlichen fiel auf „Rote Sterne überm Feld“ von Laura Laabs. Eine Aktionskünstlerin und Aktivistin flüchtet nach dem Hissen von roten Fahnen auf dem Berliner Reichstagsgebäude aufs Land und stößt in ihrem Elternhaus auf Papiere aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, vom Ende der DDR und vom Polizeieinsatz gegen die RAF. All dies hinterlässt bei der Protagonistin viele offene Fragen. Im Filmgespräch mit dem Publikum sprachen Laura Laabs und Schauspieler Matthi Faust sowie Kameramann Carlos Vasquez über den Film und beantworteten Fragen des Publikums. „Ich fand die Symbolik in dem Film einfach super, die Zeitsprünge waren kreativ, und bildlich war der Film einfach sehr schön anzusehen. Die Story fand ich megacool mit der Geschichte des Dorfes, und die Charaktere waren toll dargestellt und gespielt“, sagte Jugendjurymitglied Mikey.
Der Preis der Jugendjury ist mit 500 Euro dotiert. „Es war eine große Freude und spannende Erfahrung, die erste Jugendjury bei den Heimat Europa Filmfestspielen zu begleiten. Besonders beeindruckend war, mit welchem Auffassungsvermögen und welcher Neugier die Jugendlichen die Filme diskutiert und bewertet haben. Ihre frischen Blickwinkel haben das Festival um eine wertvolle Perspektive bereichert“, zieht Melina Michel, die die Jugendjury seitens der Festivalveranstalter betreute, ein positives Fazit.
Neben der Jugendjury traf auch das Publikum eine andere Entscheidung als Jurorin Jasmin Tabatabai im Hinblick auf die „Edgar“-Verleihung. Für die Zuschauer war „Home Sweet Home“ von Frelle Petersen eindeutig der Sieger in Simmern. Der Film erzählt von einer alleinerziehenden Mutter, die eine neue Arbeitsstelle bei einem Pflegedienst antritt, dabei viel Zeit und Kraft investiert, darüber in Konflikte mit Kollegen, Familien der betreuten Menschen und nicht zuletzt mit ihrer Tochter gerät. Ihre eigenen Ansprüche bleiben dabei mehr und mehr auf der Strecke. Der dänische Regisseur thematisiert den psychischen Druck durch eine Arbeit, die in der heutigen Gesellschaft immer größere Bedeutung erlangt. Vom Publikum erhielt der Film dafür die Höchstwertung – eine glatte 5,0.
Noch nie hat ein Film bei den Heimat Europa Filmfestspielen die Höchstpunktzahl bei der Publikumswertung erhalten. Der Publikumspreis ist mit 1000 Euro dotiert. Zuschauer konnten jeweils auf den Stimmzetteln einen bis fünf Sterne vergeben. Alle abgegebenen Stimmzettel für „Home Sweet Home“ hatten fünf Sterne. Vor der Preisverleihung hatte Jasmin Tabatabai sich zusammen mit dem David Klein Quartett als Sängerin auf der Fruchtmarktbühne präsentiert, bevor sie die Bronzestatue für den besten modernen Heimatfilm überreichte. Die Zuhörer erlebten ein Jazzkonzert der Extraklasse.
Zudem verzeichnen die Heimat Europa Filmfestspiele 2025 einen Rekordbesuch. Zusammengerechnet, ohne Berücksichtigung der Heimat Begegnungen Oberwesel, Neuerkirch, Kirchberg und Roeser kommen die Festspiele in diesem Jahr auf mehr als 3800 Besucher. „Die Heimatbegegnungen eingerechnet, knacken wir die viertausend“, freut sich Wolfgang Stemann vom Pro-Winzkino zusammen mit Stadtbürgermeister Andreas Nikolay. Die Veranstaltungen in Neuerkirch, Kirchberg und Mänttä-Vilppula stehen noch aus. Dass das Filmfestival im siebten Jahr seines Bestehens erneut einen sehr starken Zuschauerzuspruch erfahren hat, zeugt von der Qualität der Programmauswahl durch das dreiköpfige Team Sandra Burmann, Pro-Winzler Peter Huth und Kurator Janis Kuhnert. Tabatabai würdigte die Auswahl der Programmkommission im Rahmen der Preisverleihung: „Euer Programm war fantastisch.“
Staatssekretär Janosch Littig dankte im Namen der Ministerin für Familie, Frauen, Kultur und Integration dem Pro-Winzkino und der mitveranstaltenden Stadt Simmern für deren Engagement. „Die Heimat Europa Filmfestspiele unterstützen wir, weil wir Kultur abseits unserer Mittel- und Oberzentren fördern wollen. Davon lebt unser Land.“ Die Festspiele seien ein herausragendes Festival. „Es ist extrem wichtig, solche Projekte weiter zu fördern.“ Die 42.000 Euro vom Land und die 60.000 Euro seitens der Stadt Simmern – der Stadtrat hat diese Fördersumme bis einschließlich 2029 festgeschrieben – sind zusammen mit den Beiträgen der zahlreichen Sponsoren angesichts der großen Resonanz des Publikums sicher gut angelegtes Geld.
Unseren Bericht mit Fotos zum Eröffnunsgabend finden Sie hier: https://www.wochenspiegellive.de/rhein-hunsrueck-kreis/artikel/heimat-europa-filmfestspiele-2025-starten-glanzvoll




