Bollendorfer gedenken Verfolgten
»Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.« So zu lesen unter den Fotos von verfolgten Juden auf dem Flyer des Arbeitskreises Stolpersteine aus Bollendorf. Fünf Menschen kümmern sich darum, dass die Erinnerung an Juden aus Bollendorf überdauert: der pensionierte Sonderschulpädagoge Karl-Wilhelm Gellissen, der promovierte Historiker Michael Weidert, die Kunsthistorikerin Barbara Kemmer, der Architekt Frank Schmitt und die Lehrerin Agnes Köhnen-Wood. Sie alle leben in oder um Bollendorf. 36 Schicksale haben sie seit 2015 recherchiert. Die Erkenntnis ist bitter.
Die meisten der Bollendorfer Juden wurden deportiert und ermordet. Nur wenige haben den Holocaust überlebt. Zu ihnen gehört die Familie des Bäckers Daniel Levy. Eine Gedenktafel an dem Haus in der Lindenstraße 10, in dem der Bäcker mit seiner Frau und zwei Töchtern bis zur Flucht nach der Pogromnacht am 9. November 1938 lebte, soll künftig an sie erinnern.
Mit der Gedenktafel werden am 10. Mai 18 Stolpersteine verlegt, die an die von den Nationalsozialisten Verfolgten erinnern. Geboren wurde die Idee zur 1300-Jahrfeier des Dorfes im vergangenen Jahr. Damals wurden die ersten 18 Gedenksteine vor den Häusern der Verfolgten in den Boden eingelassen.
Das Projekt, europaweit ins Leben gerufen von dem Künstler Gunter Demnig, ist nicht unumstritten. Barbara Kemmer erläutert: »Viele kritisieren die Art und Weise des Gedenkens. Ihnen missfällt, dass es Steine im Boden sind, über die man drüber geht.« Anderen ist die Information auf dem Stolperstein zu kurz. Familie Hamacher, an deren Haus in der Lindenstraße die Gedenktafel für Daniel Levys Familie angebracht wird, wollte lieber eine Tafel an der Hauswand und finanziert diese selbst.
Dankbarkeit statt Anklage
Zu der Gedenkfeier reist auch eine Enkelin von Daniel Levy aus dem Ausland an. Zur Verlegung der Stolpersteine im vergangenen Jahr kamen 20 Verwandte aus den USA, Großbritannien, Israel und Frankreich. »Die Nachkommen sind dankbar«, berichtet Michael Weidert über die Begegnungen. »Es fiel kein Wort der Anklage.«Trotzdem gebe es Widerstände im Dorf, einem Stolperstein oder einer Gedenktafel am eigenen Haus zuzustimmen. Für die Steine, die nicht dort verlegt werden dürfen, wo die jüdischen Personen einst lebten, sucht der Arbeitskreis einen Ausweich- Ort. Das könnte möglicherweise auf dem Vorplatz des Abteihofs sein. Einer der neuen Gedenksteine erinnert nicht an ein jüdisches Opfer. »Es war uns wichtig zu sagen, dass es Opfer aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gab«, sagt Kemmer. Es geht um Theresia Spang. »Sie wurde 1927 wegen Depressionen in die Heilanstalt nach Andernach eingeliefert«, erzählt Kemmer. Dort starb sie 1944. Ein Fall von Euthanasie. Zwei ältere Damen aus dem Ort haben Barbara Kemmer Theresias tragische Geschichte erzählt. Was sonst zu erfahren war, hat sie aus Briefen, die im Landeshauptarchiv verwahrt werden.
Wie in Theresias Fall sucht Kemmer für ihre Recherchen das Gespräch mit Zeitzeugen und Nachkommen. Andere Quellen sind Aufzeichnungen aus der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, Veröffentlichungen von KZ-Gedenkstätten und Deportationslisten. Hinweise kommen auch vom Emil Frank Institut in Wittlich oder von anderen Heimatforschern.
Wo früher die Synagoge der rund 80 Mitglieder starken jüdischen Gemeinde stand, steht heute ein Wohnhaus. Darin lebt Agnes Köhnen-Wood vom Arbeitskreis. Ein Zufall. Erst vor kurzem haben sie und ihr Mann bei Umbaumaßnahmen im Keller Überreste der Synagoge entdeckt. Es existieren auch noch jüdische Grabsteine, die in die Mauer um den jüdischen Friedhof eingearbeitet wurden.
Ressentiments sind noch da
Die fünf Erinnerungshüter bieten Führungen an. Dabei wollen sie den Film zeigen, der bei den Vorarbeiten zu Steven Spielbergs Holocaust-Film »Schindlers Liste« entstanden ist: Ein Interview mit Betty Goldschmidt, einer Jüdin, die Bollendorf mit einem Kindertransport Richtung England verließ. »Das ist authentisch. Der Film ist Gold wert«, sagt Michael Weidert.Die Gruppe hat festgestellt, dass es nach wie vor Ressentiments gegenüber Juden gibt: »Das Denken ist immer noch da. Diese versteckte Aversion, die nicht öffentlich geäußert wird.« Und was ihnen noch klar geworden sei: »Die Beschäftigung mit dem Thema macht es noch unglaubwürdiger, dass die Leute damals angeblich nichts gewusst haben. Es ist unvorstellbar, dass in so einem kleinen Ort nicht wahrgenommen wurde, dass Nachbarn verschwanden, Juden durch den Ort getrieben und geschlagen wurden und ihre Häuser verlassen mussten«, sagt Kemmer. Weidert fügt hinzu: »`Wir konnten nichts machen´ akzeptiere ich. `Wir wussten nichts´, nicht.« Was die Gruppe keinesfalls will, ist anklagen. »Wir wollen anregen, bewusster durch die Welt zu laufen«, sagt Kemmer. bil