Unter dem Titel "Mit der Unsicherheit Freundschaft schließen. Emotionale Bildung in unsicheren Zeiten" lud der Evangelische Kirchenkreis Trier am 12. September zum Neujahrsemfang in die Konstantin-Basilika in Trier ein. Referentin des Abends war die Philosophin Dr. Natalie Knapp.
Derzeit gingen sehr viele Menschen mit dem Gefühl der Unsicherheit durch die Welt, bestätigte Knapp zu Beginn ihres Vortrages. Andererseits sei erwiesen, dass Fühlen und Denken immer zusammen gehörten. "Gefühle haben immer eine Botschaft, die es zu verstehen gilt." Deshalb gelte es sich darauf zu einigen, dass "das Vermitteln von Inhalten nicht ausreicht für die Stürme des Lebens", so Knapp weiter. "Die Bildung der Zukunft hängt davon ab, ob wir das Gefühl der Unsicherheit ausreichend verstehen können", betonte die Philosophin – und hielt anschließend ein leidenschaftliches Plädoyer für die Unsicherheit.
Mit Unsicherheit umgehen können
"Es gibt kaum eine emotionale Fähigkeit, die in diesen Zeiten dringender gebraucht wird, als die, mit der Unsicherheit umgehen zu können", so Knapp. Und mehr noch: Würde die Unsicherheit abgeschafft, ginge noch sehr viel mehr verloren. Die Abschaffung der Unsicherheit hieße auch die Abschaffung der Hoffnung, des freien Willens, und der Kreativität. Zudem ginge der "Zauber des Zerbrechlichen" verloren, betonte Knapp. Und führte aus: Sobald es die Unsicherheit nicht mehr gäbe, "wären wir einer gewissen Zukunft ausgeliefert. Und damit gibt es keine Hoffnung mehr." Ohne Unsicherheit ginge auch der freie Wille verloren, denn "wir haben einen eingeschränkt freien Willen", bestätigte Knapp. Jeder Mensch habe das Recht, heute anders zu entscheiden als morgen. Dabei ließe sich die Entscheidung allerdings nicht manipulieren – es käme immer auch auf die Reaktionen beispielweise anderer Menschen an.
Aus Unsicherheit entsteht Kreativität
Mit der Unsicherheit würden wir jedoch auch "die Kreativität und den schöpferischen Akt" verlieren, so Knapp weiter. "Wir werden kreativ, wenn und weil wir nicht wissen, wie es geht." Da wäre es doch viel leichter, "wenn wir anerkennen, dass die Unsicherheit ein Teil des Lernprozesses ist. Aus Unsicherheit entsteht oft viel Kreativität, aus Unsicherheit entsteht Neues." Die Unsicherheit beinhalte darüber hinaus aber auch den "Zauber des Zerbrechlichen". So hätten manche Menschen das Bedürfnis, dass diese Zerbrechlichkeit sichtbar würde: "Die Schönheit des Verletzlichen von Kindern heißt es zu wahren. Denn diese Zerbrechlichkeit erinnert uns daran, was es bedeutet, ein Mensch zu sein." Und um ein Mensch sein zu können, so Knapp weiter, brauche es sowohl die Fähigkeit die eigene Identität zu wahren, als aber auch beständig mit der Welt im Austausch zu sein. "Wenn wir nicht mehr bereit sind, uns Fremdes anzueignen, dann können wir nicht bestehen und nicht die eigene Identität wahren." Sicherheit und Unsicherheit jedoch seien die beiden Polaritäten, es gehe nur mit beiden und "es geht darum, dass beides in einer beweglichen Balance bleibt." Abschließend machte Knapp klar, dass es „die Unsicherheit eben nur im Doppelpack mit der Sicherheit“ geben könne: "Ohne die Fähigkeit unsere Identität zu wahren, indem wir uns hin und wieder verwandeln, kommen wir nicht weiter", so Knapp.
Religionsunterricht als zentraler Beitrag
Oberkirchenrat Klaus Eberl von der Evangelischen Kirche im Rheinland erinnerte in seinem Grußwort noch einmal an die "theologische Behauptung" gegen die Unsicherheit dieser Zeit: "Wir können Gott vertrauen, und Gott ist uns gut, egal wer wir sind und was wir schaffen können." Eberl unterstrich zudem: "Die Religionen müssen eintreten für eine solidarische Gesellschaft, für eine solidarische Welt." Der Religionsunterricht sei dabei ein "zentraler Beitrag zur Schulentwicklung", da Schule damit pluralitätsfähig und friedensfördernd werde. Eberl, Leiter der Abteilung Bildung und Erziehung im Landeskirchenamt in Düsseldorf, verwies demzufolge dann auch auf das Motto der rheinischen Kirche zum Reformationsjubiläum im kommenden Jahr: "Vergnügt, erlöst, befreit. Das ist auch das, was wir der Unsicherheit entgegen setzen wollen – im Religionsunterricht, in der Bildung, und in der Frage, wie wir Gesellschaft gestalten wollen."
Ein Ort emotionaler Bindung
"Schule ist ein Ort emotionaler Bindungen und emotionaler Bildung", fasste es auch Thomas Linnertz, der Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier, in seinen einleitenden Worten zusammen. Das menschliche Miteinander werde in Schule deutlich mit einbezogen. Es gelte, Kindern und Jugendlichen emotionale Stabilität zu vermitteln, "denn nur dann kann auch das Lernen gelingen", so Linnertz. Dies sei eine Herausforderung für alle Lehrkräfte. Es sei aber wichtig, "in der Unsicherheit eine Chance zu sehen", die Schüler zu prägen und ihnen in bester Weise Vorbild zu sein, so Linnertz abschließend.
Unsichere Welt
Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Trier, Dr. Jörg Weber, betonte in seiner Begrüßung: "Dass die Welt unsicherer geworden ist, vermag heute niemand in Frage zu stellen." Der Unsicherheit habe der Apostel Paulus das "Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?" entgegengesetzt. Martin Luther habe mit Paulus der Unsicherheit die Glaubensgewissheit an die Seite gestellt. Dies sei bedeutsam bei eigener Unsicherheit und Unzulänglichkeit.
Hintergrund
Bereits seit 1999 findet er statt, der alljährliche Neujahrsempfang des Evangelischen Kirchenkrieses Trier. Jedes Jahr lädt der Kirchenkreis Interessierte aus Schule, Pädagogik, Politik, Kunst und Kultur zu seinem Bildungsempfang zu Beginn eines neuen Schuljahres in der Konstantin-Basilika, der Evangelischen Kirche zum Erlöser in Trier.